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Wer war’s?: »Nicht die Rosine in der Mitte der Welt«

Bunte Silhoutten verschiedener Köpfe

Keine Wissenschaft hat eine so lange und lebendige Tradition, Laien an ihrer Forschung zu beteiligen, wie die Astronomie. Seit Jahrhunderten wird das Bildungsbürgertum eingeladen, an der Wissenschaft der Sterne teilzuhaben – in Zeitungskolumnen, populärwissenschaftlichen Büchern, in Uranias, Volkssternwarten und auf YouTube-Kanälen. Man darf sogar selbst mitmachen, an Amateurteleskopen und in Privatsternwarten. Quereinsteiger welcome.

Der heute gesuchte Astronom stößt zum ersten Mal im Schuhgeschäft auf die Astronomie, im Alter von sechs Jahren. »Es gab damals Lehrbögen mit Bildern, wenn man Schuhcreme kaufte. Ich hatte einen Lehrbogen über Astronomie.« Schon ein paar Jahre später arbeitet er als Schüler an der Sternwarte Sonneberg mit. Im elterlichen Haushalt findet das Anklang, denn Bildung wird da großgeschrieben. Großvater und mehrere Onkel sind Lehrer, und als der Sohn einige Jahre später zu Weihnachten aus dem Internat nach Hause kommt, fragt ihn sein Vater: »1. Wie geht es in der Schule? 2. Wie geht es dir gesundheitlich? – und zwar genau in dieser Reihenfolge«, erinnert sich der Gesuchte als alter Mann in einem Interview.

Zu dieser Zeit hat er gerade sein zweites Kinderbuch herausgebracht, außerdem eine »Kosmologie für die Westentasche« und reihenweise Kolumnenbeiträge in »Sterne und Weltraum«. Darin beschreibt er, warum Astronauten sich nicht zu Kugeln verformen wie Planeten, was wahr ist in der Wissenschaft und ob es eine Zeitrechnung vor dem Urknall gibt; später folgt sein Bestseller über die »100 Milliarden Sonnen« im Milchstraßensystem. Der Ex-Direktor eines Max-Planck-Instituts hält so die Tradition, Laien die Astronomie nahezubringen, wacker aufrecht und findet dabei immer wieder launige Beschreibungen, so wie in diesem Radiointerview: »Denken Sie sich einen Gugelhupfteig mit Rosinen, der jetzt mit Hefe aufgeht und immer größer wird, sein Volumen vergrößert. Jede Rosine bewegt sich, während sich der Teig vergrößert, von jeder anderen Rosine weg. Subjektiv könnte jede Rosine glauben, sie ist der Mittelpunkt. Wir sind aber mit unserem Milchstraßensystem eben nicht die Rosine in der Mitte der Welt.«

Sein erstes Kinderbuch handelt indes nicht von Kuchen, sondern von Kryptologie, und für erwachsene Laien schreibt er auch über Zahlen und die Unendlichkeit. Akademisch wurzelt der Astronom nämlich eigentlich in der Mathematik; erst nach seiner Promotion über den »Wertevorrat einer Matrix« in einer kleinen fränkischen Universitätsstadt mit einiger Tradition in Algebra sattelt er auf Astronomie um: Er wird, nur ein Städtchen weiter, Assistent an »Deutschlands kleinster Sternwarte«, wie er es später ausdrückt, und verfasst da unter anderem »Mitteilungen über 18 verdächtige und veränderliche Sterne« für die »Astronomischen Nachrichten«. (Die Deutsche Physikalische Gesellschaft ehrt ihn Jahre später auch auf Grund des Witzes in seinen Veröffentlichungen mit ihrer »Medaille für naturwissenschaftliche Publizistik«.)

Für seine Habilitation – diesmal geht es nicht um Matrizen, sondern um rotierende Sterne – kehrt er wieder an seine Alma Mater zurück. Dann zieht es ihn ans Max-Planck-Institut für Physik in Göttingen, das (mit ihm zusammen) kurz darauf nach München verlegt wird. Für eine Professur an der Universitätssternwarte geht er nochmals für zehn Jahre nach Göttingen, dann wieder zurück nach München beziehungsweise Garching.

Wissenschaftlich zieht er noch seltener um: Hier bleibt er im Wesentlichen der Sternentwicklung treu. Er erklärt zusammen mit einem amerikanischen Kollegen in einer Reihe von Arbeiten die Pulsationen von Delta-Cephei-Sternen, er schreibt über »Die Entwicklung der Sterne der Population II« und publiziert nach der Emeritierung mit einem anderen Kollegen das Standardwerk »Stellar Structure and Evolution«.

Es war Rudolf Kippenhahn (geboren am 24. Mai 1926 in Bärringen, heute Pernink, Tschechien, gestorben am 15. November 2020 in Göttingen). Kippenhahn sammelte schon als Schüler erste astronomische Erfahrungen an der Sternwarte Sonneberg. Nach dem Abitur 1945 studierte er Mathematik in Erlangen und promovierte im Jahr 1951 über ein Thema aus der Algebra. Nach sechs Jahren Assistenz an der Sternwarte Bamberg habilitierte er sich im Jahr 1958 in Erlangen in Astronomie.

Im selben Jahr ging er ans Max-Planck-Institut für Physik in Göttingen und wurde im Jahr 1963 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astrophysik in München. Von 1965 bis 1975 war er Professor für Astronomie und Astrophysik in Göttingen, dann beerbte er den Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Astrophysik, Ludwig Biermann, mit dem er seit Anfang seiner Karriere zusammengearbeitet hatte. Als Direktor des Instituts organisierte er unter anderem im Jahr 1975 den Umzug des Instituts nach Garching bei München. Den Posten behielt er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1991 bei.

Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit engagierte er sich intensiv in der astronomischen Öffentlichkeitsarbeit. Seine Artikelserie »Kippenhahns Kosmos« in »Sterne und Weltraum« lief von 2003 bis 2010 und war bekannt für die humorvolle Aufbereitung komplexer Inhalte. Als »freier Schriftsteller«, wie sich Kippenhahn nach seiner Pensionierung scherzhaft bezeichnete, schrieb er ein gutes Dutzend populärwissenschaftlicher Bücher über Astronomie und Mathematik.

»Ob er die Astronomie nie als abgehobene Forschung angesehen habe? Nein, im Gegenteil, oft müsse er dem Glauben entgegentreten, die Astronomen seien etwas Besonderes, weil sie wie die Theologen zum Himmel schauten. Das ist ganz normale Physik, findet er. Die Astrophysik ist für ihn also kein Religionsersatz? Um Gottes willen, fährt der Katholik Kippenhahn auf«, schreibt Ulrich Schnabel in der »ZEIT« amüsiert über ihn.

Kippenhahn war nicht nur ein herausragender Forscher mit einem gewissen Sinn für Humor, sondern auch eine prägende Figur der deutschen Astronomieszene. Er war unter anderem von 1966 an drei Jahre lang Vorsitzender der Astronomischen Gesellschaft und zwischen 1985 und 1991 Vizepräsident der Internationalen Astronomischen Union. Für seine Verdienste erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter die Carus-Medaille, die Eddington-Medaille und die Karl-Schwarzschild-Medaille. Der Kleinplanet (2947) Kippenhahn trägt seinen Namen.

Rudolf Kippenhahn (1926 – 2020) | Der Astrophysiker wurde einem breiteren Personenkreis durch seine populären Sachbücher zur Astronomie bekannt.

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