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Yoshimoto

Treitz-Rätsel

Denken (oder zeichnen!) Sie sich die drei quadratischen Symmetrie-Ebenen eines Würfels und auf jede beiderseits je eine Pyramide gesetzt, deren Höhe so lang ist wie eine halbe Kante des Würfels. Die Spitzen sitzen also mitten in den Flächen des gedachten Würfels. Die Durchdringung (besser: Vereinigungsmenge) der drei Doppelpyramiden ist ein (regelmäßiger?) Sternkörper.

Kann man ihn in einen (regelmäßigen?) Rumpf und (wie viele?) aufgesetzte Pyramiden zerlegen? Sind seine Außenflächen regelmäßig oder unter einander gleich? Wie viele Ecken, Flächen und Kanten (mit welchen Längen?) hat er? Liegen die Flächen zu mehreren in gemeinsamen Ebenen?

In was für Polyeder wird er von den zu Beginn genannten vier Quadraten zerlegt? Wie groß ist das Volumen des Sternkörpers?

© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz
© mit frdl. Gen. von Norbert Treitz

Der Körper enthält 12 Pyramiden, die einen rautenförmigen Grundriss mit dem Verhältnis \(\sqrt{2}\) ihrer Diagonalen haben. Wenn man alle Pyramiden abschneidet, bleibt ein dual-archimedisches Polyeder übrig, das diese 12 deckungsgleichen Rauten als Flächen hat. Diese Rauten treffen sich an 6 Ecken zu viert mit ihren spitzen Winkeln (da, wo der "alte" Würfel seine Flächenmitten hat) und an 8 Ecken zu dritt mit ihren stumpfen Ecken (diese Ecken liegen genau auf halbem Wege zwischen den Ecken des Würfels und seinem Mittelpunkt). Dieses Rauten-Polyeder ist dual-archimedisch, weil es zwar ausschließlich deckungsgleiche Flächen hat, aber mehrere (nämlich 2) Sorten von Ecken, und weil es eine Inkugel und lauter gleiche Kanten hat. Es heißt Rhombendodekaeder, ist der duale Körper zum (archimedischen) Kuboktaeder und ein Raumfüller: Viele Exemplare des Körpers lassen sich lückenlos im Raum stapeln.

Wenn wir nun in Gedanken die Pyramiden wieder anbringen, so nimmt die Regelmäßigkeit ab: Unser Stern hat zwar nur eine Sorte von deckungsgleichen Flächen, nämlich gleichschenklige Dreiecke; die Schenkel sind 1/4 der Raumdiagonale unseres alten Würfels, die Grundseiten aber etwas länger, nämlich die halbe Kantenlänge des Würfels. Von diesen Dreiecken haben wir immerhin 48 Stück. Sie liegen aber zu je vieren in gemeinsamen Ebenen. Wenn man eine einzelne Pyramide absägt, bildet ihre rautenförmige Grundfläche mit vier benachbarten Dreiecken ein Sechseck mit zwei einwärts gekehrten Ecken. Man kann auch diese Flächen trotz ihrer Zerstückelung als die sich gegenseitig durchdringenden Flächen des Sternkörpers auffassen und findet dann deren 12.

Die Zahl der Ecken ist 26, nämlich 6 in den Flächenmitten, 12 in den Kantenmitten des alten Würfels und 8 mitten zwischen seinen Ecken und seinem Mittelpunkt.

Die Zahl der Kanten sollte eigentlich bei einem Polyeder aus 48 Dreiecken (oder auch aus einem Polyeder mit 48 Flächen und 26 Ecken nach Eulers Formel) 72 sein, und das stimmt auch, wenn wir jedes Stück Kante zwischen zwei Ecken einzeln zählen. Nun sind aber bei unserem Stern alle Kanten paarweise ihre Verlängerungen: Es gibt daher 12 Kanten von der Länge der Würfelkanten (es sind die Mittelparallelen in den Würfelflächen, sie kreuzen sich paarweise) und 24 Kanten von der Länge der halben Raumdiagonale. Sie kreuzen sich zu dritt und sind je 3 von den 4 Raumdiagonalen der Achtelwürfel (die vierten Raumdiagonalen dieser Achtelwürfel, die von der Mitte des Ganzen ausgehen, fallen dagegen sozusagen aus). Der Stern hat also insgesamt 36 Kanten.

Was sagt die Euler-Formel dazu? 26 Ecken, 12 Flächen (die sich durchdringen) und 36 Kanten (die sich kreuzen), aber trotzdem: 26 + 12 = 36 + 2.

Nun teilen wir den Stern in 8 Oktanten, indem wir ihn in Gedanken mit den quadratischen Symmetrieebenen des Würfels zerschneiden. Jeder Stern-Oktant hat drei Würfelflächen mit je einer gemeinsamen Ecke (das sind die Schnittflächen) und 6 Dreiecke zwischen Kanten und Raumdiagonalen des jeweiligen Achtel-Würfels. Man kann sich einen (jeden) Achtelwürfel in 6 kleine Pyramiden mit je einer Würfelfläche als Grundseite und dem Mittelpunkt des jeweiligen Achtelwürfels als Spitze zerlegt denken. Dann gehören von diesen je 6 kleinen Pyramiden je 3 zu unserem Sternpolyeder und die anderen 3 nicht.

Damit haben wir das (wohl kaum von Anfang an erwartete?) Ergebnis, dass unser Stern genau das halbe Volumen wie der große Würfel hat. Und – schwer zu glauben, aber leicht zu bestätigen, wenn man mit ein paar gebastelten Exemplaren spielt –: Auch der Würfelstern ist ein Raumfüller!

Die Sternoberfläche verhält sich zu der des großen Würfels übrigens genau wie \(1 : \sqrt{2}\).

Das schön einfache Volumenverhältnis 1:2 hat Naoki Yoshimoto zum Anlass genommen, ein wunderschönes Spielzeug zu erfinden:

Zweimal 8 unserer Stern-Oktanten werden so mit feinen Scharnieren zusammengeklebt, dass man sie einzeln wahlweise zu einem Stern oder zu einem sozusagen halb-hohlen Würfel (außen alles zu, aber innen ist ein Hohlraum von der Gestalt des Sterns) oder auch zu anderen Figuren klappen kann. Man kann ein Exemplar völlig in dem anderen verschwinden lassen, ohne dass dieses von außen von einem halb-leeren zu unterscheiden wäre.

In der berühmten Lithographie "Wasserfall" von M. C. Escher befindet sich auf dem rechten (etwas niedrigeren, soweit man das bei diesem Bild überhaupt entscheiden kann) Turm der hier behandelte Stern, auf der dazu spiegelbildlichen Bleistiftskizze auf dem linken Turm.

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