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Dem Denken auf der Spur

In diesem Buch geht es um das Verhalten von Primaten in ihrem sozialen Leben – darum, wie sie sich miteinander arrangieren und kommunizieren, und allgemeiner, wie sie Umweltsituationen deuten und ihnen begegnen. Im Mittelpunkt der Schilderung stehen die Tiere, an denen die Göttinger Primatologin Julia Fischer selbst geforscht hat: Berberaffen, Bärenpaviane und Guineapaviane. Daneben kommen viele andere Arten zur Sprache, bis hin zu Menschenaffen und gelegentlich zum Menschen.

Julia Fischer versucht einen Spagat zwischen Erlebnisbericht und Lehrbuch. So erzählt sie einerseits viel von eigenen und fremden Forschungen an frei lebenden Affen in Afrika, in mehreren großen Affenkolonien in Europa und Amerika, die unter Halbfreilandbedingungen leben, und nicht zuletzt von zahlreichen Experimenten mit Tieren in Gefangenschaft. Andererseits gibt sie tiefe Einblicke in die Kognitionsforschung und deren Geschichte sowie in Studien und Theorien zur Evolution von Kommunikation und Sprache. In der breiten Darstellung finden auch aufschlussreiche Arbeiten mit Nichtprimaten Platz.

Die Darstellung springt häufig zwischen Theorie und Erlebnisbericht hin und her. Das macht auch die abstrakteren Abschnitte lebendig, fordert aber – über die große Stofffülle hinaus – dem Leser einiges ab. Gerade wegen dieser engen Verzahnung ist es nicht immer einfach, Tatsachen von Interpretationen zu unterscheiden; da helfen auch die vielen Anmerkungen der Autorin nur bedingt, was besonders in dem Abschnitt über Sozialsysteme von Primaten auffällt.

Flüssig, oft spannend, manchmal auch amüsant lesen sich die Schilderungen über die Mühsal, mit wild lebenden Affen gezielte Tests durchzuführen. Da schleppen die Forscher Lautsprecher oder Raubtierattrappen an, und ihre Versuchsobjekte haben schlicht Wichtigeres im Sinn, als sich dafür gerade jetzt zu interessieren. Oder sie erschrecken heftig vor einem Versuchsaufbau und sind nicht mehr zum Mitmachen zu bewegen.

Einen Kontrast zu diesen lebendigen Geschichten bilden viele längere Passagen insbesondere im Mittelteil des Buchs, die akribisch eine Vielzahl sowohl historischer als auch neuerer Intelligenzstudien aufzählen. Hier muss der Leser Geduld aufbringen und gut aufpassen, um sich die Einzelheiten zu merken und um die Argumentationsstränge zu verfolgen.

Viele werden sich besonders für die an mehreren Stellen eingestreuten Vergleiche mit dem Menschen interessieren. Ausführlich erörtert Fischer einzelne Sprachtheorien, schildert die diversen Versuche, Affen zur sprachlichen Kommunikation zu bringen, führt auch jüngere Ergebnisse über ein "Sprachgen" an – und kommt wie die meisten ihrer Kollegen zu dem Schluss, dass die Sprachevolution vorerst ein Rätsel bleibt.

Vergleichende Beobachtungen zu kognitiven Leistungen anderer Art mögen auf den ersten Blick unspektakulärer erscheinen, sind aber nicht weniger frappant. So hatten Forscher eine Kiste konstruiert, die auf Knopfdruck Laute von Artgenossen der Versuchstiere von sich geben sollte – und mussten sie unverrichteter Dinge wieder mitnehmen. Den Pavianen war das Ding unheimlich. Dafür durfte nun ein menschliches Kleinkind damit spielen: Begeistert und unermüdlich betätigte es die Knöpfe für die Stimmen seiner Eltern und Geschwister.

Mit diesem anspruchsvollen Buch ist Julia Fischer ein erschöpfender Überblick über den Stand der Primatenverhaltensforschung gelungen. Nehmen Sie sich Zeit, denken Sie mit und lassen Sie sich durch die vielen Sprunge zwischen den Erzählebenen nicht irritieren.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 3/2013

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