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"Es wird gelesen werdenÂ…"

Schiefe Ebene, freier Fall, Pendelschwingungen – mit diesen Themen beginnt der kanonische Physikunterricht. Tatsächlich sind es diese Experimente, die am Beginn der modernen empirischen Wissenschaft stehen: Es sind die Experimente Galileo Galileis.

Bekannter ist der Forscher aus der Toskana aufgrund seines Eintretens für das kopernikanische Weltbild. Für dieses Weltbild wurde er von der Heiligen Inquisition mit lebenslangem Hausarrest bestraft. Der trotzigen Haltung des Universitätsprofessors zollen wir heute Respekt, dabei hatte Galileo Galilei alles andere im Sinn, als die Kurie herauszufordern. Vielmehr war er ausgezogen, die aristotelische Physik zu überwinden und eine empirisch-mathematische Wissenschaft zu etablieren. Doch die neue Wissenschaft sollte nicht von der provinziellen Universität, sondern vom Zentrum der Macht ausgehen. In Galileis Heimat war dies der Hof der Medici in Florenz, zu dessen großherzoglichem Mathematiker Galileo Galilei ernannt wurde.

Dann die Katastrophe: Der sehr geachtete Galilei gerät in die Mühle der Machtpolitik. Reformation und Gegenreformation stürzen Mitteleuropa in die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges, die Fürsten entwickeln sich zu absolutistischen Herrschern, denen das Papsttum auf dem Felde des Glaubens gleichziehen muss. Die theologische Frage, ob der Mensch (also Galilei) angesichts der Allmacht Gottes zu sicherer Erkenntnis über dessen Schöpfungswerk gelangen kann, sollte als ketzerisch verurteilt werden, um das kirchliche Deutungsmonopol in Weltanschauungsfragen zu wahren. Galileo Galilei wurde zum Bauernopfer einer Epoche, in der Macht, Symbol und barocker Schein höher bewertet wurden als Kunst und Wahrheit.

Der norwegische Schriftsteller Atle Naess behandelte Galileis Epoche bereits in seinem historischen Roman "Caravaggios Flucht". Er beschreibt Galileo Galilei als Vertreter seiner Zeit: ausgestattet mit spitzer Feder und machiavellischer Streitlust. Jede wissenschaftliche Abhandlung gerät zum Pamphlet gegen echte oder gefühlte Gegner, das eigene Fortkommen wird von den richtigen Kontakten befördert, verdächtige Bewunderer, wie beispielsweise den protestantischen Kollegen Johannes Kepler, gilt es hingegen zu meiden. Der Autor gibt diesem Beziehungsgeflecht viel Raum. Dies geht leider auf Kosten der Beschreibung eigentlicher Lebensumstände Galileis, wodurch dieser etwas blutleer erscheint.

Die bereits erwähnte neue empirische Wissenschaft Galileis motiviert den Autor zu Beginn des Buches noch recht gut. Was allerdings die Astronomie anbelangt, führt er ungewohnte astronomische Notationen, wie Serpentius für Serpens oder Parallelenachse für Parallaxe, ein; auch wurde Johannes Kepler nicht in Weil am Rhein geboren. Leider bietet das Buch keinerlei Hilfen, die den wissenschaftlichen Hintergrund erläutern – keine Skizzen, Exkurse, Infoboxen oder zeitgenössische wissenschaftliche Abbildungen. Auch der Text allein ist nicht hilfreich: So erfährt der Leser beispielsweise, dass Galilei die vier großen Monde Jupiters entdeckte und sie die "Mediceischen Sterne" nannte. Dass es sich aber hierbei um die Monde handelt, die wir heute als Io, Europa, Ganymed und Kallisto bezeichnen, muss der Leser schon selber wissen. Für ein besonders an der Astronomie interessiertes Publikum ist dieses Buch aufgrund solcher Schwächen nur sehr bedingt empfehlenswert.

Andererseits gelingt es dem Autor Atle Naess, das monolithische Bild von der Inquisition aufzubrechen. DIE Kirche, welche Galileo Galilei verurteilte, gab es schon damals nicht. Viele Geistliche erkannten, dass es für den Glauben schädlich ist, wenn er mit einen überkommenen physikalischen Weltbild verknüpft wird. So schrieb der venezianische Pater Micanzio noch während des Prozesses an Galilei in einem Brief: "Lass die Verfolgung dich weder dabei stören, dich davon abbringen oder daran hindern, fortzufahren. Die Schlacht ist geschlagen. Du hast eines der einzigartigen Werke geschrieben, die aus philosophischer Begabung entsprungen sind. Seine Verbreitung zu verhindern wird den Ruhm des Verfassers nicht mindern: Es wird gelesen werden, trotz des bösen Neides, und du wirst sehen, dass es in anderen Sprachen übersetzt wird." Auch in dem Erzbischof von Siena hatte der bereits verurteilte Galilei einen Förderer, der ihn sogar ermutigte, in der Forschung weiter zu machen. So breitet Atle Naess das ganze Bild einander widersprechender Haltungen und Motivationen vor dem Leser aus und bietet ihm die Gelegenheit diesen Aspekt im "Fall Galilei" besser zu verstehen.

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