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Fotografische Körperwelten

Dass ein Medizinstudent einen Atlas in den Präparierkurs nimmt, ist gang und gäbe. Dass der Student jedoch den kompletten Präparierkurs mit nach Hause nehmen kann, ist jedoch unwahrscheinlich. Mit dem fotografischen Atlas zur "Anatomie des Menschen" der Erlanger Anatomen Johannes Rohen, Chihiro Yokochi und Elke Lütjen-Drecoll – inzwischen in der sechsten Auflage erschienen – gerät dies in den Bereich des Machbaren: Originalaufnahmen von Präparaten aus dem Seziersaal von hoher Qualität stellen die gesamte menschliche Anatomie dar.

Auf 531 Seiten mit 1258 Abbildungen bietet der Atlas einen detailgenauen Einblick in die Struktur und den Aufbau des menschlichen Körpers. Im ersten Teil – der Allgemeinen Anatomie – werden die anatomischen Systeme (wie Knochen, Gelenke, Muskeln, Gefäße und Nerven) vorgestellt. Der topografische Teil des Buches wiederum widmet sich einzelnen Körperregionen (wie Kopf, Hals, Rumpf und Brust). Während die topografischen Kapitel bei den Präparierübungen eine wichtige Hilfe sind, verschaffen die systematischen Kapitel einen Überblick und dienen der Einordnung des im Präpariersaal Gesehenen in das Ganze: So kann sich der Student zum Beispiel vor der Präparation einer Extremität über die systematische Anatomie der Knochen, Gelenke, Muskeln und Leitungsbahnen informieren.

Wie zuvor überwiegen auch in der sechsten Auflage die Fotografien: Diesmal gibt es 813 mehrfarbige und 111 schwarz-weiße Fotos von perfekt präparierten Menschen. In den Aufnahmen steckt ein hohes Maß an Präzisionsarbeit (gut erkennbar beispielsweise bei der Darstellung der Lymphgefäße im Halsbereich auf S. 172). Zumeist findet sich eine unverfälschte Wiedergabe von Farben, Strukturen und räumlichen Dimensionen, wie sie im Präpariersaal gesehen wird: eine Darstellung der topografischen Anatomie in Schichten von "außen nach innen". Die Anordnungen der Strukturen auf den Bildausschnitten und die verschiedenen Blickwinkel, unter denen man sie betrachtet, sind didaktisch wohl durchdacht. Jedoch können auf den Fotografien nicht immer alle Details erkannt werden, die ein Zeichner besonders klar hervorheben würde. Um eine noch genauere Betrachtung der Fotos möglich zu machen, geben die Autoren aber einen Tipp: Man sollte sich eine Handlupe zur Hilfe nehmen.

Bei komplexen Strukturen sind Teile des Präparates bunt eingefärbt. Farbinjektionen am Präparat verdeutlichen den Verlauf von Gefäßen (etwa den der Hirnarterien, S. 93). Zeichnungen sind auf das entsprechende Fotomaterial abgestimmt und bieten eine Verständnishilfe des jeweiligen Themas. Sie helfen, die Einzelheiten besser zu erkennen. CT- und MRT-Aufnahmen stellen einen klinischen Bezug her.

Ein wenig umständlich ist die Bezeichnung der Strukturen durch nummerierte Pfeile. Der Student muss die Namen der Strukturen über Nummern in der Bildlegende aufsuchen und deshalb oft hin- und herblicken. Dies kann anstrengend sein. Andererseits hat diese Art der Kennzeichnung aber auch einen Vorteil – sie kann als Lernhilfe dienen, da sie dem Studenten die Möglichkeit bietet, sein Wissen zu kontrollieren: Kennt er den Namen der Struktur, auf die der nummerierte Pfeil hinweist?

Lerntafeln geben die wichtigsten Daten über Muskeln, Nerven und Leitungsbahnen wieder. Die Lerntafeln nehmen Bezug auf die Abbildungen, sodass der Student sich leicht einen Überblick über die relevantesten Merkmale dieser Strukturen verschaffen kann – dieser Überblick ist jedoch zumeist nicht ganz vollständig. Im umfangreichen Glossar werden circa 700 "anatomische Schlüsselwörter" beschrieben; im Sachverzeichnis ist nahezu jeder Begriff schnell zu finden.

Wie die Autoren selbst schreiben, war es ein wichtiges Anliegen für sie, den Stoff auf das Wesentliche zu reduzieren. Da es – wie in einem Atlas üblich – kaum Lehrtexte gibt, ist zum Verständnis der Anatomie ergänzend ein Anatomielehrbuch erforderlich.

Fazit: Zu einem angemessenen Preis von 89 Euro ist ein Buch entstanden, das ein sehr praxisnaher Begleiter in den Anatomiesemestern sein kann. Der Atlas ermöglicht eine ausgezeichnete Vorbereitung auf den Präparierkurs und bietet eine gute Basis für das Studium der makroskopischen Anatomie.

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