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Zwei Wege zum Geist

Wer sich Großes vornimmt, muss seine Sache beharrlich verfolgen, beispielsweise so wie der Physiker und Philosoph Christof Koch. Er ist "wild entschlossen", sein Ziel zu erreichen – nichts Geringeres als den menschlichen Geist zu ergründen. Auch der Psychologe Gary Marcus ist von dieser Aufgabe fasziniert. Von beiden Wissenschaftlern liegen jetzt gleichermaßen empfehlenswerte Bücher vor. Diese nähern sich demselben Problem von unterschiedlichen Seiten.

Koch, wissenschaftlich beheimatet am California Institute of Technology in Pasadena, fragt danach, wo im Gehirn bewusste Wahrnehmung repräsentiert wird und was dabei genau passiert. Er will Nervenzellen identifizieren, konkrete Mechanismen und Ereignisse aufspüren. "Bewusstsein – ein neurobiologisches Rätsel" ist sein Zwischenbericht auf der mühevollen Suche nach den neuronalen Korrelaten des Bewusstseins, den Neuronal Correlates of Consciousness, kurz NCC genannt. 16 Jahre hat Koch mit dem mittlerweile verstorbenen Francis Crick, einem der Entdecker der DNA-Struktur, zusammengearbeitet. Das Vorwort ist deshalb noch aus Cricks Hand, und sein Geist durchweht Kochs gesamtes Buch: Die Herangehensweise ist stets nüchtern- naturwissenschaftlich und schnörkellos.

Die NCC würden zwar nicht alle Rätsel abschließend lösen, meint Koch, sie seien aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Königsweg für das weitere Verständnis. Die großen Fragen der Philosophen kämen erst später an die Reihe. Zunächst stelle das Thema eine "harte Tatsache" dar, die man nicht dadurch knacken könnte, indem man über sie sinniert. Ohne umfassende Experimente komme niemand weiter. Zudem sei eine weitere Eingrenzung des Themas unerlässlich – und der Grund, weshalb sich Koch auf das visuelle Bewusstsein beschränkt.

Diese Fokussierung macht das Rätsel zwar für den Leser überschaubarer, eine Herkulesaufgabe der Wissenschaft bleibt es dennoch: Koch wertet eine Vielzahl von Versuchsergebnissen aus Medizin, Biologie und Psychologie aus. Allein das Literaturverzeichnis mit mehr als 1000 Einträgen vermittelt einen Eindruck davon, wie gründlich er vorgeht. Ins Zentrum stellt Koch einen Begriff aus dem Staatswesen: Nervenzellen koalieren mit- und gegeneinander. Wie in einer Demokratie schließen sie sich zu Gruppen zusammen, um ihre Interessen durchzusetzen. Sie bilden eine zeitlich begrenzte und auf Inhalte beschränkte Koalition, die versucht, stärker zu sein als die gegnerische Seite. Solche Zweckgemeinschaften arbeiten auch im Vorderhirn. Hier bilden Nervenzellen Netzwerke, die einander verstärken, andere unterdrücken und nach getaner Arbeit – also nach wenigen Millisekunden – wieder zerfallen.

Bewusst werden wir uns des Inhalts derjenigen Neuronenkoalitionen, die sich durchgesetzt haben. Die Wahrnehmung, die vom unterlegenen Zellverband repräsentiert wurde, nehmen wir nicht wahr. Sie geht verloren. Die Zusammenhänge, die Koch beschreibt, sind beachtlich. Dabei ist es noch zu früh, eine Theorie zu formen – seine Suche nach den NCC geht weiter.

Gary Marcus zielt auf den ersten Blick in dieselbe Richtung. Doch der Titel "Der Ursprung des Geistes" ist zweideutig, der Untertitel verrät mehr: Der New Yorker Psychologe will erklären, "wie Gene unser Denken prägen". Während Koch also den Gedanken auf der Spur ist, sucht Marcus nach dem Einfluss der Erbanlagen auf die Bildung des Gehirns.

Marcus beteiligt sich mit seinem Werk an einer bekannten Diskussion: Wie stark sind Menschen von ihren Genen, wie stark von der Umwelt geprägt? Im Wesentlichen vertritt der Psychologe die mittlerweile akzeptierte "Sowohl-als-auch-Theorie": Sie besagt, dass Gene an der Ausbildung von Gehirnstrukturen und damit an der Entwicklung unserer geistigen Fähigkeiten und unseres Verhaltensrepertoires beteiligt sind. Gleichzeitig stellt niemand mehr die Bedeutung der Umweltbedingungen in Frage. Dementsprechend geht Marcus bei seiner Betrachtung stets vom Gen aus, das nicht nur mitentscheidet, wie Neuronen sich verdrahten und arbeiten, sondern auch einzelne Verhaltensweisen definiert.

Sein Buch markiert im Grunde ein gründliches Argument für einen bekannten Standpunkt. Der logische Rahmen, wie Genotyp und Phänotyp miteinander verknüpft sind, verhilft dem Werk zu angenehmer Klarheit. Es überzeugt zudem mit vielen faszinierenden Beispielen aus Biologie und Psychologie. Ein Wermutstropfen bleibt: Koch und Marcus haben beide erst einen Teil der Strecke zurückgelegt. Bis zu ihrem heiß ersehnten Ziel ist es immer noch ein langer Weg.

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  • Quellen
Gehirn und Geist 12/2005

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