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Blütenbestäubung aus Sicht der Tiere

Erst erscheint fast 40 Jahre lang kein einziges allgemeinverständliches Buch zur Blütenbiologie, dann gleich zwei davon in einem Jahr: zunächst die "Blütengeheimnisse" von Bruno P. Kremer (siehe Spektrum der Wissenschaft, November 2013, S. 100), jetzt der erste Band einer Blütenökologie von Hans-Joachim Flügel. Die Partnerschaft zwischen zu bestäubender Pflanze und den die Blüten besuchenden Tieren hat zwei Seiten, von denen Flügel in dem Buch nur die "Biotische Bestäubung aus Sicht der Tiere" beschreibt. Der noch nicht erschienene zweite Band wird die Anpassungen der Pflanzen dazu abhandeln. Ein angedachter Band 3 soll dann noch "praktische Tipps und Hinweise zur Umsetzung blütenökologischer Erkenntnisse in den Alltag von Schule, Hausgarten und der Landbewirtschaftung" geben. Das sollte man wissen, ehe man sich dieses broschierte Bändchen aus der renommierten Reihe der Neuen Brehm-Bücherei zu einem relativ hohen Preis anschafft.

Der Autor hat wohl vor allem Erfahrungen mit Honigbienen und mit den für Band 3 vorgesehenen Ratschlägen. Er leitet das "Lebendige Bienenmuseum Knüllwald" im Schwalm-Eder-Kreis in Nordhessen, hat aber auch viele Arbeiten über die regionale und großstädtische Insektenfauna veröffentlicht. Sein Anspruch an dieses Buch ist sehr hoch. Flügel strebt an, nach langer Pause "wieder eine deutschsprachige Zusammenfassung zum Stand der Forschung auf dem Gebiet der Blütenökologie zu geben". Kann ein Einzelner das heute wirklich noch leisten?

Es sind in der Tat viele neue Forschungsergebnisse enthalten – beispielsweise über den Malachit-Nektarvogel Süd-Afrikas, der nicht wie ein Kolibri vor der Blüte schwirren kann und deshalb an die schwertlilienartigen Blüten einer Babiana-Art nur deshalb gut herankommt, weil ein Blütenstängel zur Sitzstange umgebildet ist. Oder über flugunfähige Kleinsäuger aus den Familien der Rüsselspringer und Echten Mäuse, die Pagodenlilien bestäuben, was erstmals auf Fotos dokumentiert wurde. Dazu kommen natürlich all die bekannten Formen der Bestäubung, vornehmlich durch Hautflügler (Wildbienen, Faltenwespen, Weg- und Grabwespen etc.). Die dabei zitierten Arbeiten der zurückliegenden 10 Jahre werden manchmal nur genannt, ohne im Einzelnen herauszuarbeiten, was hier jeweils neu ist.

Die meisten Abbildungen sind auf 49 Tafeln angeordnet, durchweg in guter Qualität und erfreulicherweise fast immer sorgfältig bis hin zur Art bestimmt. Da sie für sich allein verständlich sein sollen, auch ohne in den Haupttext hineinzulesen, fällt ihre Beschriftung oft lang und etwas umständlich aus. Das Spezialgebiet des Autors kommt im Kapitel "Florale Faunistik" zur Sprache. Dort geht es darum, für einzelne Pflanzenarten deren gesamtes Besucherspektrum zu erfassen, um daraus unter anderem Erkenntnisse über die Verbreitung der Bestäuber zu gewinnen.

Rund 60 Seiten beschäftigen sich mit den Beziehungen zwischen Blütenökologie und Gesellschaft, (etwa in der Parfümherstellung, Bestäubungsindustrie und Kriminologie) beziehungsweise zwischen Blütenökologie und Umwelt (einschließlich der Folgen des Klimawandels, des Problems invasiver Arten, der Umweltverschmutzung und der industriellen Landwirtschaft). Das hätte ich eher in Band 3 erwartet. Und da das Buch den heutigen Forschungsstand anzeigen soll, sind die 15 Seiten zur Geschichte der Blütenbiologie darin, wenngleich interessant, eigentlich überflüssig.

Gelegentlich wirkt das Buch etwas unentschieden. Einerseits ist es sehr dicht geschrieben und bringt zahlreiche Details nebst vieler Quellenangaben, wie in wissenschaftlichen Publikationen üblich. Anderseits versucht Flügel manchmal, auf merkwürdige Art populär zu sein, etwa bei Formulierungen wie "Herr und Frau Brennnessel" (für Zweihäusigkeit) – oder wenn er fragt "Wie sollen die beiden Liebenden zusammenkommen?", womit er Blüte und Insekt meint, die sich ihm zufolge "zu einem Date" treffen. Auch wenn "Lieschen Müller an Wespen denkt" und ihr dabei nur die Faltenwespen einfallen, ist das nicht unbedingt ein passender Einstieg in das folgende Unterkapitel. An solchen Stellen fragt man sich, warum derlei Unstimmigkeiten keinem der vielen Berater aufgefallen sind, denen der Autor dankt, und offenbar auch nicht dem Lektor.

Trotz dieser kleinen Mängel bietet das Buch einen guten Überblick über die Anpassungen der Tiere an ihre pflanzlichen Partner. Sollte Band 2 mit umgekehrten Blickwinkel ähnlich umfangreich werden, wären das zusammen 500 fundierte Seiten zum Thema Blütenökologie, und damit derzeit ohne Alternative.

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