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Mission misslungen

Der Mann weiß, wovon er spricht. Über 20 Jahre lang hat Martin Lindstrom Unternehmen auf der ganzen Welt in Marketingfragen beraten, darunter Nestlé, Microsoft und Walt Disney. Nun hat er nach eigenem Bekunden genug davon und wechselt die Seite: Mit diesem Buch will er Verbraucher über die hinterlistigen Machenschaften der Werbeindustrie aufklären.

Deren Strategien setzen heutzutage bereits bei Ungeborenen an, so Lindstrom. Kinder würden die Jingles wiedererkennen, die sie im Mutterleib gehört haben, und mit ihnen deshalb ein Gefühl der Geborgenheit verbinden. Der Autor schildert außerdem, wie Werbetreibende menschliche Ängste und Sehnsüchte ausnutzen und ihren Profit durch prominente Sympathieträger steigern und warum wir mit dem Sammeln von Bonuspunkten das Ende unserer Privatsphäre besiegeln.

Das so genannte Datamining – das Gewinnen von Informationen aus Kundendaten, zum Beispiel Einkaufsgewohnheiten – betreiben nicht nur Handelsketten per Kundenkarten, sondern auch Facebook, Google und Konsorten, um Angebote passgenau auf potenzielle Kunden zuzuschneiden.

Marketingprofis, so warnt Lindstrom, wollen uns genau kennen lernen, damit sie unsere Gefühle manipulieren können. Seit einigen Jahren versuchen sie zu diesem Zweck, auch mit neurowissenschaftlichen Methoden die Hirnaktivität abzubilden. Auf diese Weise spürten sie "unsere tiefsten unterbewussten Ängste, Träume, wunden Punkte und Wünsche" auf.

So steigerten sich zum Beispiel die Umsätze eines Autoherstellers gewaltig, nachdem er seine Fahrzeuge mit dem Bild eines Hengstes versehen hatte. Das Tier hatte in der vorangegangenen Untersuchung die Lustzentren im Gehirn von Männern stimuliert. Mundpropaganda ist die beste Werbung Lindstrom kennt viele schöne Anekdoten. Nur sind seine Erkenntnisse leider wenig überraschend, ebenso wie die Tatsache, dass man mit Hilfe von Magnetresonanztomografen menschliche Erregung erkennen kann. Auch dass Babys schon im Mutterleib sensorische Reize aus der Außenwelt registrieren und Kinder nach Marken verlangen, die ihnen aus dem Fernsehen vertraut sind, ist hinlänglich bekannt. Kaum jemanden dürfte es überraschen, dass die Werbeindustrie etwa gezielt Ängste vor Keimen oder Einbrechern schürt und mit einem halb nackten David Beckham wirbt, weil auch Männer heute schön sein müssen.

Zur Krönung berichtet Lindstrom im letzten Kapitel von seinem unkonventionellen Feldexperiment namens "The Morgensons", das im Jahr 2011 Schlagzeilen machte: Sein Team begleitete acht Wochen lang eine amerikanische Musterfamilie, die in ihrer neuen Nachbarschaft in Kalifornien unauffällig für allerhand Produkte warb – und siehe da, die Freunde kauften die Produkte! Ein schönes Beispiel für Guerilla­Marketing, und entsprechend lautet das Fazit des Buchs: Mundpropaganda ist die beste Werbung!

Doch die Morgensons sind keine Forschungsarbeit, sondern eine millionenschwere Reality­-TV­-Produktion. Im Übrigen stützt Martin Linstrom seine Erkenntnisse mal auf wissenschaftliche Studien, mal auf subjektive Erfahrungen. Allzu gern stellt er sich selbst als das beste Beispiel hin. Im Grunde sei er, der Fachmann, ja auch nur ein einfacher Verbraucher und somit Opfer der Markenindustrie. Schon das von Filmemacher Morgan Spurlock ("Supersize me!") verfasste Vorwort ist reißerisch. Erst stellt er lang und breit seinen eigenen neuen Film vor (in dem zufällig ein gewisser Martin Lindstrom mitwirkt) und leitet dann zu dessen "bahnbrechendem Buch" über. Dieser Gestus durchzieht die Ausführungen von der ersten bis zur letzten Seite und macht die Lektüre zu einem Ärgernis.

Dabei sind manche skurrilen Beispiele aus der Produktindustrie durchaus amüsant, etwa das mit Trickfiguren verzierte "Erste-­Periode­-Set" in Rosa oder Blau für junge Mädchen, inklusive krampflinderndem Körnerkissen. Grundsätzlich ist es auch ehrenhaft, Verbraucher für Werbestrategien sensibilisieren zu wollen – wenn Lindstrom nur nicht immer so täte, als sei das alles wahnsinnig neu und als verheiße sein Buch Rettung für die arme, ahnungslose Menschheit. Der Werbefachmann kann wohl nicht aus seiner Haut.

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  • Quellen
Gehirn&Geist, 7/2012

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