Direkt zum Inhalt

»ADHS - unter der Spitze des Eisbergs«: ADHS bei Erwachsenen

Praxisnahe Tipps einer Tiefenpsychologin für Erwachsene mit ADHS und deren Familien. Eine Rezension.
Supertasker

»ADHS, das verwächst sich doch!« Dieser Irrglaube hält sich hartnäckig. die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, verschwindet allerdings häufig nicht, wenn betroffene Kinder erwachsen werden. Der ausgeprägte Bewegungsdrang verwandelt sich in eine innere Unruhe, die sich beispielsweise im Berufsleben bemerkbar macht. Die Auswirkungen der Konzentrationsschwierigkeiten auf das Sozialleben sind besonders weit reichend. Welche Konflikte sich für Erwachsene mit ADHS in Familie oder Partnerschaft ergeben, beschreibt Ruth Huggenberger in ihrem Buch.

Zu Beginn der Kapitel erklärt die Psychotherapeutin jeweils, wie etwa Schuld- und Schamgefühle oder Kommunikationsschwierigkeiten entstehen – Problemfelder, die viele Betroffene kennen. Hierbei beruft sie sich auch auf wissenschaftliche Studien, die am Ende des Buchs in einem Literaturverzeichnis wiederzufinden sind. Ins Zentrum des Ratgebers stellt die ADHS-Expertin aber ihre Klientinnen und Klienten: Anhand von Fallbeispielen zeigt sie auf, wie sich zum Beispiel eine stärkere Verletzlichkeit von Erwachsenen mit ADHS in Beziehungen bemerkbar macht.

Die Geschichten aus Huggenbergers Praxis veranschaulichen die theoretisch eingeführten Konflikte selbst für interessierte Leser ohne Vorkenntnisse. Angehörige und Betroffene dürften sich in einigen Beschreibungen wiederfinden und können eigene Schwierigkeiten nach der Lektüre sicher besser nachvollziehen. Ruth Huggenbergers abschließende Zusammenfassungen der Fallbeispiele hätten zwar etwas gestrafft werden können. Insgesamt sind die Erklärungen dennoch wichtig und spannend, weil die erfahrene Therapeutin die Situationen einordnet und bewertet. Damit bietet die Autorin ihrer Leserschaft nicht nur wissenschaftliche Hintergründe, sondern liefert auch Einblicke in die Denkweise einer Therapeutin. Alltagsnahe Tipps für Angehörige runden die Kapitel ab.

Welcher Therapieschule sie angehört, erwähnt Ruth Huggenberger nicht explizit. Dass sie tiefenpsychologisch arbeitet, wird aber spätestens im letzten Abschnitt des Buchs deutlich: In diesem befasst sich die Autorin mit den für ADHS-Betroffene typischen Abwehrmechanismen wie Verdrängung und Verleugnung, ein Konzept, das auf Sigmund Freud zurückgeht. Der tiefenpsychologische Ansatz bedingt auch, dass Ruth Huggenberger vor allem die in der Kindheit liegenden Ursachen für Konflikte beschreibt. Wie einzelne Symptome in der Therapie bearbeitet oder umgelernt werden können – ein Schwerpunkt in der Verhaltenstherapie –, wird höchstens angerissen. Wer mit tiefenpsychologischen Konzepten nichts anfangen kann, wird mit dem Buch entsprechend wenig Freude haben. Die Autorin hätte besser gleich zu Beginn des Buchs auf die tiefenpsychologische Ausrichtung hingewiesen.

Eine einleitende Beschreibung der Krankheit und ihrer Symptome wäre ebenfalls hilfreich gewesen, damit interessierte Laien dem Buch leichter folgen können. Nichtsdestotrotz hält der etwas abgedroschen klingende Titel »ADHS – unter der Spitze des Eisbergs«, was er verspricht: Mit viel Verständnis für die Betroffenen beleuchtet der Ratgeber jene Auswirkungen der Erkrankung, die normalerweise wenig Beachtung finden.

Kennen Sie schon …

Gehirn&Geist – Neurodiversität: Eine neue Sicht auf die Vielfalt unseres Denkens

Mit dem Begriff Neurodiversität beschreibt die Wissenschaft die natürliche Vielfalt unseres Denkens – und eröffnet neue Perspektiven auf Autismus, ADHS & Co. Aber warum ist in den vergangenen Jahren die Zahl der Diagnosen so deutlich gestiegen? Unsere Titelgeschichten gehen dieser Frage nach und beleuchten medizinische Ursachen ebenso wie gesellschaftliche Einflüsse und geschlechterspezifische Unterschiede. Erfahren Sie zudem im Interview mit Molekularbiologe Prof. Thomas Bourgeron, welche Rolle genetische Faktoren bei der Ausprägung und Diagnostik neurodiverser Eigenschaften spielen. Auch soziale Ungleichheit steht im Fokus dieser Ausgabe, denn neue Studien zeigen, wie sie politische Einstellungen beeinflusst und was Menschen dazu bringt, autoritäre Persönlichkeiten zu wählen. Daneben erklärt Maren Urner im Interview, was die ständige digitale Reizflut mit unserem Gehirn macht – und weshalb Langeweile gut für die mentale Gesundheit ist. Zudem berichten wir, warum Antidepressiva oft nicht wirken und welcher Weg zu einer maßgeschneiderten Therapie führen kann.

Spektrum - Die Woche – Der rätselhafte Anstieg von Autismus und ADHS

Warum werden ADHS und Autismus immer häufiger diagnostiziert? In der aktuellen »Woche« analysieren wir, woher der Anstieg kommt – von besseren Diagnose-Verfahren bis zu gesellschaftlichem Wandel. Außerdem: Wie gut ist Deutschland auf einen Wasserausfall vorbereitet?

Spektrum - Die Woche – Wie Psychopharmaka das Gehirn verändern

Wie wirken Antidepressiva, Neuroleptika und Psychostimulanzien auf das Gehirn? Psychopharmaka bringen schnelle Linderung bei psychischen Störungen, doch die langfristigen Folgen auf unser Denkorgan sind noch nicht ausreichend erforscht. Außerdem: Süßwasser unter dem Meer. Ein Weg aus der Wassernot?

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.