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Die Jugend im Blick

Diese umfangreiche Beitragssammlung zum Thema Adoleszenz vermittelt manche neue Einsicht, wirkt aber auch etwas wirr.

Ein Herausgeberband zur Adoleszenz, der aus der Vortragsreihe »Leben lernen« an verschiedenen Schulen Gießens entstanden ist. Ein Buch von berufenen Autoren und »für alle«, wie schön! Fundierte, gleichsam gut lesbare Werke zu diesem wichtigen Entwicklungsabschnitt gibt es nicht viele.

Leider beschäftigen sich nicht alle Kapitel konkret mit dem angekündigten Thema. Immerhin, im ersten referiert die Erziehungswissenschaftlerin Christine Uhlmann die Ergebnisse der 2016 erschienenen, qualitativen Jugendforschungsstudie »Sinus«. Fazit: »Die Jugendlichen« lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Nicht weniger als sieben verschiedene Gruppen seien es, deren Lebenswelten sich manchmal kaum überschneiden. So befinden sich die »Konservativ-Bürgerlichen« (»erst mal einen guten Job, dann Familie, vielleicht ein Haus«) maximal weit entfernt von den »experimentalistischen Hedonisten«, die das Leben im Hier und Jetzt genießen wollen. Die »Sozialökologischen« setzen sich engagiert für Gleichberechtigung und Umwelt ein, während die »Adaptiv-Pragmatischen« einfach nur ohne Reibungsverluste durchs Leben kommen wollen. Was die meisten Jugendlichen interessanterweise eint: Sie verstehen sich mit ihren Eltern gut und lassen kein gesteigertes Bedürfnis erkennen, sich von diesen abzugrenzen.

Zwar kündigt Uhlmann »Einsatz- und Umsetzungsmöglichkeiten« dieser Erkenntnisse an. Doch am Ende ihres Aufsatzes blättert man verwirrt vor und zurück: Fehlen hier Seiten? Oder hat die Autorin ihr Versprechen vergessen? Schade, denn so bleibt es bei einer bloßen Bestandsaufnahme, zumal die folgenden Beiträge in keiner Weise daran anknüpfen.

Wilde Themenmischung

Die teils provokanten Ausführungen des Pädagogischen Psychologieprofessors Detlef H. Rost zum Thema Intelligenz haben noch ihren eigenen Charme, während die psychoanalytische Familientherapeutin Inken Seifert-Karb mit der Frühförderung des einjährigen Jonas und der zweieinhalbjährigen Mira von einem völlig anderen Entwicklungsabschnitt berichtet. Max Fuchs' »Zu den Chancen des Ästhetischen im Bildungsprozess« fällt ebenfalls aus dem Rahmen. Die Idee, mathematische Formeln tänzerisch und theatralisch darzustellen, wird aber in Erinnerung bleiben.

Erst die nächsten Texte nähern sich dem Buchgegenstand wieder. Die Realschullehrerin Gabriele R. Winter und der Kinder- und Jugendpsychotherapeut Horst Gerhard etwa schreiben über »Psychosoziale Beratung in der Schule«. Dabei teilen sie die Jugendlichen grob in zwei Gruppen ein: In jene, die sozial mithalten können und leistungsbereit sind, zu ihnen gehöre die »erdrückende Mehrheit« von 80 bis 90 Prozent. Für die anderen 15 bis 20 Prozent aus prekären Verhältnissen sehe die Zukunft dagegen düster aus.

Verantwortlich für psychische Auffälligkeiten bei Jugendlichen seien oft Mütter und Väter, die sich einfach nicht kümmern, manchmal aber auch Helikoptereltern, die den Nachwuchs mit ihren Ansprüchen erdrücken. So jedenfalls heißt es in dem Buch – doch diese sehr eindimensional wirkende Herangehensweise macht es sicher nicht einfacher, Eltern therapeutisch mit ins Boot zu holen. Gut, dass der Psychoanalytische Familientherapeut Joseph Kleinschnittger darauf besteht, alle Beteiligten (inklusive Lehrer) müssten bei Problemen gemeinsam die Verantwortung übernehmen, statt in gegenseitiger Vorwurfshaltung zu verharren. Überhaupt ist sein Artikel reich an Denkanstößen. Nur ist es mitunter etwas schwierig, ihm durch den Dschungel an Themen – von allgegenwärtigem Optimierungsdruck über Burnout und ADHS bis überforderte Eltern – zu folgen.

Der Psychoanalytiker Burkhard Brosig unternimmt ebenfalls den Versuch, die heutige Jugend zu charakterisieren. Die Jahrgänge 1995 bis 2010 sind für ihn die Generation »Subway«, zeichneten sie sich doch ähnlich wie die gleichnamige Fastfood-Kette durch Pseudoindividualisierung, Digitalisierung, Mediatisierung, Globalisierung und Beschleunigung aus – eine entmutigende Perspektive. Das Werk endet mit einem Beitrag des Tübinger Pädagogen Reinhard Winter dazu, wie man Jungen helfen kann, »männlich« zu werden. Das mag für manche(n) zunächst seltsam klingen, doch der Autor legt sehr differenziert dar, warum Erziehungspersonen der jungenspezifischen Entwicklung meist zu wenig Raum geben. Ich gestehe, als Mutter eines Sohnes habe ich aus diesem Kapitel den größten Nutzen gezogen. Auch wenn die Wahl des Buchtitels nicht geglückt erscheint, so vermittelt der Band doch manche neue Einsicht.

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