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Buchkritik zu »Alles Espresso«

Professor Geißler hat sein meditierendes Nachdenken der Zeit gewidmet und lebt davon assoziierend-medial. Die Zeit fliegt unerbittlich, pfeilgleich, aber mit gleichbleibender Geschwindigkeit dahin. Wenn es uns erscheint, dass wir "schneller leben", ist das eine subjektive Aussage: Nicht die "objektive Zeit" wird schneller – sie ist eine physikalische Konstante – aber unsere Lebensäußerungen ändern sich, bevor wir uns an die vorhergehende gewöhnt haben. Wir sind in dauerndem Druck hinter der raffenden Zeit her, uns an Neuigkeiten, Ereignisse, Erfindungen oder auch nur Moden anzupassen.

Anpassung, sich Gewöhnen, hat natürlich mit grundsätzlich gleichschnellen Einzelquanten zu tun, den materiellen Transmissionsereignissen auf der Geber- und der Empfängerseite eines Erregungs- und Gedächtnis-Neurons, die diffusionskontrolliert sind. Aber die Frequenz und Häufigkeit dieser Ereignisse bestimmen das Tempo und die Tiefe des Eindrucks.

Davon handelt dieses amüsante und anregende Buch in gut illuminierten Beispielen aus Technik und Umwelt, aus Literatur und Bildung. Es macht eine vergnügliche Lektüre für einige Stunden und zum Ruminieren und Verdauen für lange Zeit. Denn jeder kann Beispiele hinzufügen oder nach seinem Eindruck diskutieren. Der Autor selbst hat jedoch schon einen fast überquellenden Zettelkasten (oder heute wohl Internet). Zuweilen ist des Guten etwas viel, aber nie verstopft es die Seelenassimilation.

Zunächst gibt Geißler Beispiele von zeitsparenden Lebenserleichterungen, von Beiwerk des Alltags, zuweilen überraschend einfachen und ingeniösen, leicht herzustellenden und dauerhaften Dingen, die unser Zeitverhalten ex-and-hopp „instant“ ändern – manchmal auf Kosten der Qualität, die nicht mit nostalgischer Gemütlichkeit und Suche nach verlorener Zeit verwechselt werden soll! Diese Dinge ändern sich dann auch im Design, weil die gewöhnte Kundschaft erhalten bleiben und bedient sein will. Es ist natürlich so mancher Lifestyle-Unsinn dabei - aber: Freier Tand dem freien Mann, damit er seinen Stand beweisen kann. Nur säuerliche Kultursnobs halten das Meiste für Angeberei, entweder die des Erfinders überflüssiger Bequemlichkeiten oder ihrer Benutzer. Denn das alles kostet irreversible Energie, und ein bisschen Abarbeiten überflüssiger Kalorien wäre gesund.

Auch die Nahrungszyklen haben ihre Zeit, selbst wenn sie instant aus besagten Accessoires zubereitet wurden. Andererseits gehen so manche Domestizierungen dabei verloren: Welches Kind kann noch eine Schleife binden, was vordem ein Zeichen der Schulreife war? Wer frönt noch dem Aberglauben, dass Brot eine im Schweiß erarbeitete mystische Gottesgabe ist?

Die Elektronik und ihre Jockeys machen nicht nur „alles“ möglich, manches einfacher, vieles so schnell, dass die übriggebliebene Zeit mit natürlichem oder elektronischem Geräusch verschlissen werden kann. Ihre Möglichkeiten regen auch den Sport- und Spielgeist ihrer Fexe so an, dass die Entwicklung nie zu einem Stillstand zu kommen scheint. Die Zeit wird dadurch zwar nicht kürzer, aber sie vergeht schneller ohne Eindruck. Ob das Dasein dadurch optimiert wird? Man wird ja fragen dürfen.

Amüsant werden immer wieder "Heilige" auf Säulen präsentiert, oft von einer Abseite, aber im Zusammenhang überraschend. Das würzt die Lektüre und macht auf den Nächsten neugierig.

Natürlich wird "PISA" auf die Schippe genommen und mancher passagere Zeitgenosse aufgeführt. Die Impressionen sind dem Tag abgeschaut und daher lebendig. Das fest fadengeheftete Buch wird ein sehr willkommenes, repräsentatives und anregendes Geschenk für eine breite Warteliste werden.

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  • Quellen
BIOspektrum 1/2007

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