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Ich rieche, also bin ich

Warum wir unserer Nase mehr trauen können als unseren Augen, verrät die Psychologin Bettina Pause.

»Ohne Nase könnten Sie dieses Buch nicht lesen«. Bereits der erste Satz aus Bettina Pauses Werk über die menschliche Geruchswahrnehmung hat es in sich. Seite für Seite öffnet die Autorin uns die Augen für einen Sinn, der in der Wissenschaft völlig zu Unrecht lange ein Schattendasein fristete. Für Pause ist klar: Nicht nur haben wir im Vergleich zu vielen Tieren eine herausragend gute Nase, ohne die »heimliche Chefin« wären wir weder der Empathie fähig noch hätte sich die menschliche Intelligenz derart weit entwickeln können.

Eine Billion Gerüche

Mit ihrer Erkenntnis, dass Angst ansteckend ist, wurde Pause 2009 einem breiten Publikum bekannt. Heute ist sie eine der weltweit führenden Geruchsforscherinnen und kann auf 30 Jahre Berufserfahrung zurückblicken. Seinerzeit trat sie mit der Hypothese an, die Nase sei der bessere Verstand. Damit erfuhr sie anfangs viel Gegenwind seitens der Kollegen, doch über die Jahre schlug die Skepsis zunehmend in Staunen um. Und auch wir Leser haben reichlich Gelegenheit, zu staunen. Denn die Autorin bringt vieles von dem, was wir über die menschliche Natur und den Geruchssinn zu wissen glaubten, ins Wanken. Entgegen landläufiger Meinung sind wir nämlich sehr wohl Nasentiere. So kann unser Riechsinn eine Billion Gerüche unterscheiden, der Sehsinn hingegen »bescheidene« fünf Millionen Farben.

Auch können wir unserem Riechorgan mehr vertrauen als den Augen – so vermag ein Mensch zwar ein künstliches Lächeln aufzusetzen, doch sein Körpergeruch verrät, ob er uns wirklich wohlgesinnt ist, unter Stress steht, Angst hat oder gar krank ist. All das verarbeiten wir unbewusst, registrieren es vielleicht als vages Bauchgefühl. Können wir jemanden beispielsweise nicht »riechen«, nehmen wir Abstand und nennen es mangelnde Sympathie. Doch Pause geht noch weiter: Nicht nur steuere der Geruchsinn unsere soziale Kommunikation, er sei der Grund für unsere hohe soziale Intelligenz und diene als »Tuning« für die Hirnentwicklung.

Die Autorin nimmt uns mit auf eine spannende Zeitreise zurück in die Evolutionsgeschichte der Wirbeltiere. Letztlich sei der Mensch so erfolgreich gewesen, weil sein feines Näschen ihm das Leben in komplex strukturierten Gruppen ermöglichte, die Schutz boten. Und dieses Erbe trügen wir noch immer in uns. Laut der Wissenschaftlerin beginnen Freundschaften in der Nase: So können sozial kompetente Menschen mit großen Freundeskreisen besser riechen und chemische Signale effektiver bewerten. Depressive und einsame Menschen hingegen haben einen schlechteren Geruchssinn – eine »traurige Nase«. Unser Riechorgan hat der Autorin zufolge also maßgeblichen Einfluss darauf, ob wir glücklich und gesund sind und harmonische Beziehungen pflegen können.

Pause unterfüttert ihre Theorien mit vielen spannenden Studien ihrer und anderer Arbeitsgruppen und vermittelt nebenbei, wie gute wissenschaftliche Praxis aussehen beziehungsweise nicht aussehen sollte. Sie spart nicht mit Kritik an schlechter Forschung, etwa infolge der Fokussierung auf den Typus »westlich, gebildet, industrialisiert, reich, demokratisiert« – was nur auf zwölf Prozent der Weltbevölkerung zutrifft. Außerdem räumt sie mit Mythen um Pheromon-Parfums, Schönheitsideale und den Wert des Intelligenzquotienten auf. Das tut sie humorvoll und leicht zugänglich. Das Werk ist nicht nur eine spannende Reise in die Welt der Düfte, der Evolution und der Wissenschaftshistorie. Es ist zudem ein Plädoyer gegen die Vereinsamung des Individuums und die Entsinnlichung des Menschen.

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