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Präsident mit Gottes Segen?

Wie Donald Trump trotz seines wenig präsidialen Auftretens zum US-Präsidenten werden konnte, lässt sich nur mit Blick auf den weißen Evangelikalismus verstehen.

In vielen Ländern hat ein Bündnis aus Rechtspopulisten und religiösen Nationalisten die liberale Demokratie geschwächt – allen voran in den USA. Philip Gorski, ein renommierter US-Religionssoziologe, schildert in diesem Buch den Einfluss christlicher Kreise auf die US-Politik. Insbesondere widmet er sich deren Rolle bei der US-Präsidentschaftswahl 2016, bei der Donald Trump siegte. Könnte die religiöse Rechte auch die Wahl 2020 für Trump entscheiden?

Eine gespaltene Gesellschaft

Laut Gorski stehen sich in den USA seit mehreren Jahrzehnten zwei große Lager konfrontativ gegenüber, nämlich konservativ bis fundamental Religiöse (vor allem Christen und Juden) auf der einen Seite, säkulare und aufgeklärt religiöse Liberale auf der anderen. Liberale, so der Autor, stützen sich auf Sozialbewegungen und sehen sich von den Kultureliten repräsentiert. Konservative Christen dagegen haben sich vielfach mit White-Supremacy-Bewegungen (einer rassistischen Ideologie) und neoliberalen Wirtschaftseliten verbündet.

Im Fokus des Buchs steht der christliche Nationalismus, der während des Eroberungskriegs gegen die Indigenen vor 300 Jahren entstand und primär von weißen Protestanten getragen wurde. Zuletzt erfuhr er ein Wiederaufleben in den 1980er Jahren; heute vertreten ihn vor allem weiße konservative Evangelikale. Zu dieser besonders frommen Richtung des Protestantismus zählen in den USA rund 20 Prozent der Bevölkerung. Der US-amerikanische Erweckungsprediger Billy Graham (1918-2018) war einer ihrer einflussreichsten Vertreter.

Lange Zeit neigten die Evangelikalen des Südens wie die Katholiken des Nordens dem politischen Liberalismus zu und wählten vornehmlich die Demokratische Partei. Doch mit der Abtreibungsdebatte und einem neu aufkommenden weißen Rassismus gelang es den Republikanern seit den 1980er Jahren, beide auf ihre Seite zu ziehen.

Aber warum entschied sich die übergroße Mehrheit der weißen Evangelikalen (rund 80 Prozent) im Jahr 2016 dafür, Donald Trump zum Präsidenten zu wählen, der in keiner Weise als religiös galt? Ihre Fernsehprediger priesen den Unternehmer als »neugeborenen Christenmenschen« und verglichen ihn mit dem alttestamentarischen König David. Denn Trump, schreibt der Autor, präsentierte und präsentiert sich als Beschützer ihrer Bewegung. Weiße Evangelikale fühlen sich von den demografischen Veränderungen in ihrem Land und von liberalen Entwicklungen wie der Abtreibung oder der gleichgeschlechtlichen Ehe eminent bedroht, ja sogar verfolgt. Das trumpsche Motto »Make America Great Again« ist eine Chiffre, die sich zuvorderst an sie richtet: Es steht für ein Programm, das Land für den weißen christlichen Nationalismus gewissermaßen zurückzuerobern.

Gorski seziert den Trumpismus als Rechtspopulismus, der von sich behauptet, das »einfache Volk« vor den Eliten zu schützen. Nicht ohne Grund ist Trump als »Geißel der Eliten« unter weißen Arbeitern populär geworden. Selbst im amerikanischen Protestantismus, der an sich elitär ausgerichtet ist, gibt es antielitäre Tendenzen, die sich früher gegen den gebildeten, liberalen Klerus richteten und heute gegen die Eliten in Wissenschaft, Medien und Kultur.

Werden die Evangelikalen diese Politik fortsetzen? Gorski befürchtet, die Covid-Pandemie könnte die autoritären Neigungen der US-Christen verstärken. Andererseits hofft er darauf, ein großer Teil von ihnen könnte (wieder) verstehen, dass sich Demokratie und Protestantismus gegenseitig befruchten können und nicht zwangsläufig behindern müssen. Liberale Rebellen in ihren Reihen, die sich bisher allerdings bedeckt halten, könnten seiner Meinung nach die anstehende Wahl entscheidend beeinflussen.

Das durchaus erhellende Buch ist sehr interessant, doch leider zuvorderst für ein amerikanisches Publikum ergiebig. Europäische Leser und Leserinnen, denen die geschilderten Welten doch sehr fremd sind, müssen während der Lektüre immer wieder in Enzyklopädien nachschlagen, um sich über die jeweiligen Akteure, Bewegungen und Organisationen zu informieren.

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