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Buchkritik zu »Angeber haben mehr vom Leben«

Es erscheint leicht, über Selbstdarsteller und Egoisten zu schreiben. Schließlich liefern die Statussymbole der Nachbarn und das Gehabe von Kollegen die nötigen Steilvorlagen. Weitaus schwieriger ist es, die evolutionären Wurzeln der Angeberei freizulegen. Matthias Uhl und Eckart Voland haben sich dieser Aufgabe gestellt. Beide arbeiten am Zentrum für Philosophie und Grundlagen der Wissenschaft an der Universität Gießen und kennen sich mit den Konzepten und Theorien der Biologie und Evolutionspsychologie aus. Über "Kosten-Nutzen-Analysen" und Begriffe wie "natürliche und sexuelle Selektion", "offene und verdeckte Botschaft", "demonstrativer Konsum und demonstrativer Müßiggang", "teure Signale" und nicht zuletzt durch das "Handicap-Prinzip" wollen die Autoren verdeutlichen, wie sehr das Erbe der Evolution unser soziales und kulturelles Miteinander bis heute prägt. Uhl und Voland verstehen unter einem Angeber keineswegs den "vollmundigen, betrügerischen Lügner und Hochstapler". Angeber sind vielmehr "Organismen, die mit Hilfe von zuverlässigen Signalen ihrer Umwelt das Vorhandensein von verborgenen Qualitäten mitteilen". Nur mit diesem Begriff vom "ehrlichen Angeber", der sowohl "den wenig sympathischen Großkotz als auch den sachlich-nüchternen Zurschausteller des Faktischen" einschließt, passt das Buch zum Titel. Nur auf diese Weise lässt sich überhaupt plausibel darstellen, dass ausgerechnet Angeber mehr von Leben haben.

Ausgangspunkt aller Überlegungen ist die "Ökonomie der Natur". Die "schöne Natur" entpuppt sich nämlich bei näherem Hinsehen als "hässlicher Markt". Verschwenderische Fülle wird nur vorgegaukelt, denn das Leben ist von Knappheit gekennzeichnet. Und Mangel führt notgedrungen zu Konkurrenz – mit dem Ergebnis: "Wo es nur einen Gewinner geben kann, werden die meisten Verlierer sein." Die "Gewinnauszahlung" ist immer die gleiche. In der Evolution zählt einzig der gesunde Nachwuchs: "Nicht Überleben ist das primäre Ziel, sondern sich fortpflanzen." Die ökonomische Rationalität der Evolution macht selbst den "Nutzen des Nutzlosen" noch begreiflich. So erscheint beispielsweise der männliche Pfau zunächst als reines Luxusgeschöpf. Sein Prachtgefieder ist alles andere als effizient; es ist sogar ein Handicap. Denn es bindet Ressourcen, ist bei der Bewegung hinderlich und lockt neben den Weibchen auch Beutegreifer an. Dennoch avanciert das Pfauenrad in diesem Buch zum Paradebeispiel für das Handicap-Prinzip, und sein Träger zur Ikone des erfolgreichen Angebers.

"Offensichtlich", so die Autoren, "führen die natürlichen Umstände nicht dazu, dass sich Lebewesen aufgrund des permanenten Mangels an Ressourcen in reine Nutzenmaximierer verwandeln." Aber warum hat die Evolution das Pfauenrad nicht wegrationalisiert, sondern im Gegenteil immer größer und schöner werden lassen? Die Antwort lautet: Der große Ressourcenaufwand bedeutet einerseits zwar ein Handicap, macht aber andererseits das Pfauenrad zu einer "ehrlichen und fälschungssicheren Botschaft". Dabei ist der Aufwand physiologischer Natur, das Ergebnis jedoch ein soziales – nämlich die erfolgreiche Verpaarung.

Nichts vermag einen potenziellen Sozialpartner besser von den eigenen Vorzügen zu überzeugen als ein teures Signal. Denn nur ein teures Signal ist auch fälschungssicher. Und so gibt der Pfau zuverlässig an: Hier ist ein Individuum in bester Verfassung – eines, dass es sich leisten kann, eine derartige Pracht zu entfalten. Handicap-Signale spielen offenbar auch in der menschlichen Gesellschaft eine überragende Rolle: "Überall", so die Autoren, "wird mit größtmöglichem Einsatz von Besitz und Fähigkeiten um Sozialpartner und Prestige gekämpft." Die kulturelle Evolution kam überhaupt erst richtig in Gang, als unsere Vorfahren das Angeben entdeckten: "In der Wiege der Kultur lag ein Angeber."

Uhl und Voland betonen, "dass der Handicap-Ansatz in erster Linie nicht deutlich macht, was im Bewusstsein von Menschen vor sich geht, sondern dass er evolutionär entstandene Strategien aufzeigt". Seit der Steinzeit hat sich in Sachen Handicap-Prinzip nichts Neues getan. Trotz "kulturhistorisch neuester Erfindungen" weisen unsere sozialen Signale eine bemerkenswerte "biohistorische Kontinuität" auf.

Wir werden somit zwar als geborene Angeber entlarvt, doch glauben die Autoren, dass die schlichte "Funktionslogik" unserer sozialen Kommunikation "für uns Menschen durchaus keine Schmach sein muss, sondern vielmehr ein Gefühl der Geborgenheit, der Einbettung in die Natur vermitteln kann".

Uhl und Voland argumentieren spannend und unterhaltsam und bestechen darüber hinaus durch humorvolle Frische. Dennoch bleiben Zweifel, ob es sich bei ihrem Buch um eine "ehrliche Angabe" handelt.

Gewiss, die Grundposition der Autoren, dass es sich bei dem, "was wir als Natur bezeichnen, um ein ökonomisch strukturiertes System" handele, ist von beachtlichem heuristischem Wert. Es sei ihnen auch zugestanden, "das Erklärungspotenzial dieses Ansatzes als absolut zentral für das Verständnis alles Lebendigen" zu erachten. Aber in dem Bemühen, Komplexität zu reduzieren, um "die Welt besser handhabbar zu machen", gleiten sie haltlos in den strikten Monismus ab: "Alles in unserer menschlichen Kultur ist Frucht der Mechanismen des Handicap- und des Nützlichkeitsprinzips." Um diesen Satz aufrechtzuerhalten, müssten die Autoren die Leistungen der menschlichen Kultur schon bis zur Unkenntlichkeit uminterpretieren.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 1/2004

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