»Atlas der ungewöhnlichen Klänge«: Die akustischen Kulissen der Natur
In diesen Reiseberichten geht es um besondere Orte, nämlich um solche, deren akustische Kulissen ungewöhnlich und oft auch interessant sind. In 36 Kurzkapiteln, die jeweils etwa drei bis vier Seiten umfassen, beschreiben Michaela Vieser und Isaac Yuen verschiedene natürliche Klänge. Dies reicht von dem »Klang des Universums«, das die Radioastronomen etwa in der Mitte des letzten Jahrhunderts entdeckt haben, über Töne, die durch Gesteinsformationen und Höhlen entstehen, bis zu Klängen, die sich in Luft und Wasser über sehr große Entfernungen ausbreiten. Dabei gibt es viel Kurioses zu berichten. Die einzelnen Abschnitte bestehen aus unzähligen Detailinformationen. Jede davon ist für sich genommen nicht uninteressant, aber leider fügt sich das alles zu keinem einheitlichen Bild zusammen. Man erkennt nicht, ob und wie die einzelnen Berichte zusammenhängen, und so vermisst man eine klare Struktur des Buchs.
Der Untertitel verspricht eine Reise zu akustischen Wundern; dabei handelt es sich nicht unbedingt um zielgerichtetes Reisen, sondern ein Sammelsurium vieler Schallereignisse. In verschiedenen Umgebungen wie dem Meer, in Höhlen, unter Wasser, im ewigen Eis oder im Gebirge unterscheiden sich die natürlich auftretenden Geräusche und Klänge. Dies ergibt sich selbstverständlich auch aus den großen Unterschieden zwischen den natürlichen Umgebungen in ihren Materialeigenschaften und dem Schwingungsverhalten, was das Entstehen von Schall sowie seine Charakteristika und die Ausbreitung aus physikalischen Gründen beeinflusst. Ein naturwissenschaftlich vorgebildeter Leser würde sicher nichts anderes erwarten. Ob die verschiedenen Klänge dann wirklich als »Wunder« bezeichnet werden sollen?
Im Vorwort wird zwar das expandierende Feld der Akustik erwähnt, was sich aber genau dahinter verbirgt und wie man die erwähnten Schallereignisse physikalisch erklären kann, darauf wird jedoch nur selten Bezug genommen. Für ein wirkliches Verständnis der Besonderheiten der ausgewählten Klänge wäre eine Behandlung der wesentlichen Grundlagen der Akustik sowie der auditiven Wahrnehmung eine sinnvolle Ergänzung.
Das Buch versucht, die Geschichten des Klangs zu erzählen, ohne Klänge zu verwenden. Man findet lobenswerterweise neben der Beschreibung der akustischen Phänomene auch einen QR-Code, mit dem man entsprechende YouTube-Videos erreichen und sich die beschriebenen Klänge anhören kann. Das hilft sicher, um sich einen besseren Eindruck von den geschilderten Klängen machen zu können; für eine Neuauflage könnte in Erwägung gezogen werden, die Hörbeispiele auf einer CD beizulegen oder als MP3-Dateien verfügbar zu machen. Für den Leser wäre dies sicher einfacher, als sich durch 100 YouTube-Videos durchzuklicken.
Das Werk erinnert doch sehr an »Das Buch der Klänge: Eine Reise zu den akustischen Wundern der Welt« des britischen Physikers und Professors für technische Akustik, Trevor Cox, das 2015 (und als englisches Original im Jahr 2014) erschienen ist und eine gute Alternative darstellt, weil dort auch die Grundlagen der Akustik und des Hörens beschrieben werden. Hier gibt es ebenfalls eine Weltkarte, anhand der der Autor erklärt, welche akustischen Phänomene an welchen Orten der Welt zu hören sind. Warum Michaela Vieser und Isaac Yuen dies mit keinem Wort erwähnen, ist nicht zu verstehen. Bewusstes Ignorieren erscheint mir als ebenso unprofessionell wie Unkenntnis wichtiger wissenschaftlicher Quellen.
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