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»Atlas der vom Aussterben bedrohten Sprachen«: Sprachenvielfalt als Reichtum

In Landkarten, Grafiken und mehreren Essays stellt der Atlas circa 50 der auf allen Kontinenten und in Ozeanien vom Aussterben bedrohten Sprachen vor.

7000 Sprachen gibt es zurzeit auf der Welt. Aber wie lange noch? Denn etwa die Hälfte von ihnen gilt als bedroht. In Deutschland zählen dazu Nordfriesisch, Plattdeutsch und Niedersorbisch, in Europa Aragonesisch, Baskisch, Rätoromanisch, Färöisch und Samisch. Letzteres wird zwar im Norden von Norwegen, Schweden, Finnland und im Nordwesten Russlands gesprochen – aber nur noch von etwa 24 000 Menschen.

Die geringe Anzahl von Sprechern allein wäre nicht das Problem; hinzu kommen die Konkurrenz durch andere Sprachen und der Abschied von traditionellen Lebensformen. Denn häufig lernen die Kinder die Sprache der Eltern nicht mehr. Das ist ein deutliches Anzeichen für ein beginnendes Aussterben einer Sprache – insbesondere dann, wenn in den jeweiligen Schulen in einer anderen Sprache unterrichtet wird. Dann bedingt ein Versagen des Schulsystems das Aussterben einer Sprache, nicht ein Mangel an Kompetenz auf Seiten der Sprecher.

In den von der Kolonialisierung betroffenen Ländern wurden traditionelle Sprachen oft durch das von den Kolonialherren eingeführte Bildungssystem oder eine neue Religion verdrängt. Auch Nationalismus führte in vielen Ländern zu einer Vereinheitlichung des Sprachgebrauchs und dem Verbot traditioneller Sprachen. So untersagte zum Beispiel in Libyen Machthaber Gaddafi die Verwendung der Sprachen der Berber. Freilich können Verbote auch dazu führen, dass sich Betroffene zur Wehr setzen und ein Aussterben ihrer Sprache aktiv verhindern – so wie die Bretonen in Frankreich. Heute gilt das Bretonische nicht mehr als bedroht.

Aber Sprachen sind immer schon aufgegeben worden. Die Gründe dafür sind vielfältig, haben etwa auch mit Naturkatastrophen, Klimaveränderungen, Kriegen oder Wanderungsbewegungen zu tun. So sterben auch Dialekte aus – wie zum Beispiel das Ostpreußische als Variante des Deutschen, das der Vertreibung seiner Sprachgemeinschaft zum Opfer fiel.

Es sind aber auch immer wieder neue Sprachen entstanden, vornehmlich dadurch, dass sich verschiedensprachige Menschen begegneten. Schließlich gibt es Regionen, in denen sehr viele Sprachen nebeneinander gesprochen werden. In und um New York City herum zum Beispiel sind es etwa 800 – ein Albtraum für Vertreter eines nationalistischen Identitätsverständnisses.

Dennoch vollzieht sich das Sprachensterben heute so intensiv wie noch nie, besonders in Australien und Nordamerika. Das liegt natürlich primär an der Globalisierung, in der einige Sprachen dominant werden und viele lokale Sprachen verdrängen. Das hat nicht zuletzt ökonomische und technologische Gründe, die sich in dem Phänomen verbinden, dass Sprachen wie das Englische das Erlernen bestimmter Kompetenzen erleichtern.

Sprache – unser kulturelles Gedächtnis

Sprachen unterscheiden sich strukturell in einem hohem Maße voneinander, so dass die Idee einer universellen Grammatik schlicht falsch zu sein scheint. Knapp 1200 Sprachen äußern die Vergangenheit durch besondere Formen des Verbs, knapp 1100 kennen dieses grammatikalische Prinzip nicht. Auch bei den Zählweisen gibt es große Unterschiede. Manche Sprachen verfügen über sehr komplexe Lautsysteme, andere beinhalten sehr komplexe Wörter. Das Cha’palaa, das im Nordwesten Südamerikas gesprochen wird, verlangt obligatorisch die Angabe der Herkunft einer Aussage.

Sprachen entsprechen den kulturellen Lebensformen ihrer Sprecher, konstituieren unterschiedliche Weltsichten und bergen besonderes Wissen, das verloren geht, wenn die Sprache ausstirbt. Das alles lässt sich dann oft nicht mehr rekonstruieren, weil die meisten der 7000 Sprachen keine Schrift entwickelt haben. Informationen zum Umgang mit Pflanzen zur Ernährung oder als Heilmittel, die heute nach wie vor sehr hilfreich sein könnten, gehen unwiederbringlich verloren. Immerhin werden Sprachen seit dem 19. Jahrhundert zunehmend erforscht, und die Tonaufzeichnung eröffnet diverse Möglichkeiten, Sprachen zu archivieren. Auch die Digitalisierung erleichtert manchmal die Rekonstruktion.

Das Buch skizziert circa 50 bedrohte Sprachen auf allen Kontinenten und in Ozeanien. Veranschaulicht wird das Beschriebene durch viele Karten, wobei man Spannendes aus Regionen der Welt erfährt, von denen viele bisher kaum gehört haben dürften. Damit weitet das äußerst empfehlenswerte Buch nicht nur den sprachlichen Horizont, sondern auch den geografischen und kulturellen.

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