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Mehr als drei Dimensionen

Der Buchtitel ist seltsam: Wieso haben Zahlen Gefühle? Anscheinend hat der deutsche Verlag im Originaltitel "Things to Make and Do in the Fourth Dimension" eine Art transzendenten Emotionsbegriff erkannt und entsprechend übersetzt. In der Mathematik versteht man darunter aber üblicherweise das Ausweiten von Zusammenhängen, die in drei Dimensionen gelten, auf höherdimensionale Räume. Der Inhalt des Werks dagegen überzeugt. In dem beinahe fünfhundert Seiten starken Band unternimmt der ehemalige Mathematiklehrer Matt Parker eine gelungene Reise von den ersten Axiomen Euklids (3. Jh. v. Chr.) bis zu heutigen Methoden der Kryptografie.

In den ersten Kapiteln behandelt er ausführlich die Grundlagen der Mathematik und ihre Bedeutung für unser Alltagsleben. Dabei pendelt er zwischen Lehrbuch, Geschichtsband, Ausflügen in die aktuelle Forschung und humorvollen Einlagen hin und her. Parker schafft es, seine Leser zu unterhalten und gleichzeitig aufzuklären. Er arbeitet mit ungewöhnlichen Hilfsmitteln, etwa Fotos von seiner Reise nach China, bei der er die olympische Schwimmhalle in Peking aufsuchte. Deren Fassade ist geformt wie geschichtete Blasen in Gestalt von zweidimensionalen Ovalen; die Architekten wollen das Gefühl von blubberndem Wasser vermitteln. Der Autor sieht darin eine Visualisierung von nicht perfekten Kreisen und befasst sich mit dem idealen Kreis, den es als mathematische Abstraktion gibt, nicht aber in der Natur. Wenn er solche ungewöhnlichen Exkurse unternimmt, über mathematisch korrektes Zubinden von Schuhen sinniert oder sich umfallenden Reihen von Dominosteinen widmet, macht Mathematik richtig Spaß.

Gestapelte Kugeln

Parker geht auf Zahlentheorie und einfache Geometrie ein, befasst sich mit mehrdimensionalen Formen und mit Algorithmen bis hin zur Kryptografie. So schildert er, warum man Orangen oder auch Kanonenkugeln am besten in Tetraederpackung stapelt, wie platonische Körper einst entdeckt wurden und wie man heute versucht, diese in die vierte Dimension zu bringen. Wie im englischen Originaltitel versprochen, erweitert er "flache" Zusammenhänge (in zwei oder drei Dimensionen) zu höherdimensionalen, komplexeren und nicht mehr darstellbaren Strukturen.

Der Autor schafft es, zwischen reinen Wahrheiten der Mathematik und Zufällen, die sich beispielsweise aus der Struktur unseres dezimalen Zahlensystems ergeben, zu unterscheiden. Zur Hochform läuft er auf, wenn er besondere Primzahlen erwähnt und dabei etwa die Ulam-Spirale präsentiert, die Primzahlen auf Diagonalen darstellt. Sie spielt in der Kryptografie eine Rolle. Ebenso befasst er sich mit dem Zerlegen von Pizzen in Primzahl-viele und deckungsgleiche Stücke.

Bei alldem bewegt sich Parker nicht in den klassischen Unterdisziplinen der Mathematik, sondern bricht sie auf. Er ist von der "unsichtbaren Kohärenz" getrieben (jede Aussage in einem Themenfeld der Mathematik lässt sich auf andere Themenfelder anwenden) und legt großen Wert darauf.

So ungewöhnlich der Autor schreibt, so ungewöhnlich ist auch sein Lebenslauf: Nach seinem Beruf als Mathelehrer an einer australischen Schule arbeitet er heute als "Stand-Up-Mathematiker" in England. Er tritt mit einem Comedy-Programm auf, das die BBC überträgt, und ist darüber hinaus "Public Engagement in Mathematics"-Fellow an der Queen Mary University in London, betreibt also Öffentlichkeitsarbeit. Seine Begeisterung für Mathematik überträgt er mit diesem kurzweiligen Buch auf die Leser.

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