»Außenseiter«: Drinnen oder draußen, das ist hier die Frage
Der Drittligist Arminia Bielefeld galt beim DFB-Pokalendspiel 2025 gegen den Bundesligisten VfB Stuttgart als »krasser Außenseiter«. Das Team hatte zwar die Zuschauer hinter sich, aber auf dem Platz letztlich keine Chance. Der Ursprung der modernen Verwendung des Wortes »Außenseiter« liegt denn auch in der Welt des Sports: Sie leitet sich vom englischen »outsider« ab, mit dem im Pferderennen das Tier bezeichnet wird, das ohne realistische Chance in den Wettbewerb startet.
Bis zu einem gewissen Grad mögen wir »Außenseiter« – Exzentriker, Nörgler. Aber unser positives Bild kann schnell ins Gegenteil kippen. Das war zuletzt der Fall beim Wort »Querdenker«. Einst bezeichnete es eine Figur, die den Mut aufbrachte, dem Zeitgeist zu trotzen, wurde aber während der Coronazeit gleichsam über Nacht ins Negative gekehrt – um zu kennzeichnen, wer sich mit seinen Äußerungen ins gesellschaftliche Aus manövriert. Um das »Drinnen oder Draußen« geht es auch im Buch des Philosophen Ralf Konersmann. Seine zentrale These lautet, dass erst mit der Vergesellschaftung um 1800 unter den Bedingungen der Moderne die Figur des Außenseiters möglich wurde.
Exemplarisch findet er den modernen Außenseiter im französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau. Dieser wandte sich bewusst von der Gesellschaft ab und stilisierte sich selbst zum Außenseiter. Konersmann zitiert aus dessen »Bekenntnissen« den berühmten Satz: »Wenn ich nicht besser bin, so bin ich wenigstens anders.« Mit diesem Anderssein verweigert sich Rousseau der Vereinnahmung durch eine Gesellschaft, die beginnt, »soziale Zugehörigkeit als Verdienst zu behandeln, als Gegenleistung für erwünschtes Verhalten«. Diese Gesellschaft hat zwar den Feudalismus überwunden, der die Stellung jedes Einzelnen nach seinem Stand definiert hat. Für die Freiheit, die sie dem Individuum gewährt, erwartet sie aber eine »Solidarität«, einen Zusammenhalt, dem sich Rousseau bewusst entzog.
Mit der Verweigerung der Solidarität à la Rousseau entsteht also der Außenseiter. Er stellt sich außerhalb der Gesellschaft, braucht sie aber gleichzeitig als Spiegelbild. Er ist, anders als der Eremit, der sich komplett aus der Gesellschaft zurückzieht, jemand, der die Figur des »Außenseiters« lebt, der sichtbar bleibt und sie – wie man es heute gern ausdrückt – ›performt‹. Sein Außen wird »zum Vorzugsort dessen, der, gerade weil er draußen ist, Dinge sieht und Dinge sagt, die in der Höhle des Wir […] unvorstellbar sind und weder gesehen noch gesagt werden können.« Darin liegt die Zumutung Rousseaus, mit dem Konersmann »das Zeitalter der Außenseiter« beginnen lässt. Mit der Konkurrenz der Einzelnen als einem ihrer konstitutiven Merkmale bietet die Moderne dafür die Voraussetzungen. Konkurrenz sei hier ein »Geschmeidigkeitswettbewerb«, das soziale Gegenstück zu Darwins natürlicher Selektion. Das Gesetz des Wettbewerbs werde, so der Autor, zum »entsprechenden Motiv der Konformität«.
Vorläufer des modernen Außenseiters
Konersmann analysiert aber nicht nur die gegenwärtige Stellung des Außenseiters, sondern auch deren Vorstufen in der Antike. Er beginnt dabei mit der Anekdote, in der Thales von Milet der lachenden Thrakerin begegnet. In Platons Dialog »Theaitetos« erzählt Sokrates, wie Thales, der erste Philosoph, mit dem Blick hoch zu den Sternen in Milet in einen Brunnen fällt. Dieser Fall entfesselte das »Lachen der thrakischen Magd«, das bis heute als Sinnbild für die Distanz zwischen Praxis und Theorie gilt (Hans Blumenberg). Der Philosoph wird zu einer Figur, die vermeintlich abwesend durch die Welt zu gehen scheint, anstatt sich dem Leben zu widmen. »Mit bezwingender Folgerichtigkeit gerät das Porträt des Philosophen zur Karikatur«, während die Thrakerin zur »Sprecherin der Vielen« wird: »Der Verstand der Welt stellt keine Fragen, weil er […] die Antworten schon immer hat und sie im Bedarfsfall auch prompt zu geben weiß.« Im Riss »zwischen Weltbezug und Weltlosigkeit« wird die philosophische Existenz zur »Zumutung«.
In den folgenden Kapiteln analysiert Konersmann die Raumordnung in Raffaels Bild »Die Schule von Athen«, in dem Diogenes von Sinope auf der Treppe als Stolperstein für Platon und Aristoteles erscheint. Der Autor blickt auf das berühmte Höhlengleichnis Platons, in dem sich einer aus der Höhle wagt, das helle Licht der Außenwelt sieht und verändert in die Höhle zurückkehrt – wo ihm keiner glauben will, dass es draußen eine andere Welt gibt. Konersmann nimmt sich der »Idiota«-Dialoge von Nikolaus von Kues (1401–1464) an, in denen Laien von außerhalb auf das Wissen schauen. Er widmet sich den »Essais« von Michel de Montaigne (1533–1592), für den Autorität nicht mehr mit der Wahrheit gleichgesetzt ist, sondern der »Selbstdenker den gereiften Laien stärkt«. Schließlich kehrt er ins Zeitalter Rousseaus zurück, um in Voltaires »Candide« in der Figur des Pangloß die Abwendung von der Metaphysik zu erkennen.
Im Schlusskapitel resümiert der Autor, dass die Gestalt des Außenseiters ein Spezialfall der Moderne sei, eine »Erscheinungsform sozialer Abweichung«. Der Außenseiter ist überall da, »wo moralisch, politisch, pädagogisch oder geschmacklich über die Zugehörigkeit entschieden wird.«
Konersmanns Essay ist ein sehr gut geschriebenes, sprachlich im besten Sinne poetisches Buch. Es enthält viele Wendungen und stellt Verbindungen her, die man gut nachvollziehen kann, wenn man sich die Zeit nimmt, es langsam zu lesen. Dann kann man großen Gewinn aus dieser Lektüre ziehen.
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