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Die Psychologie des menschlichen Geistes

Wie lässt sich Bewusstsein erklären? Der ehemalige Direktor der Max-Plack-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften widmet sich in seinem neuen Buch dieser anspruchsvollen Aufgabe.

Eines vorneweg: Das Buch lohnt sich. Wolfgang Prinz, emeritierter Direktor des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, entwickelt auf 300 Seiten Ansätze und Ideen, um die Erklärung menschlichen Bewusstseins voranzubringen. Er will damit nachholen, was die Psychologie in seinen Augen bisher versäumt hat: Bewusstsein mittels psychologischer Theorien begreiflich machen.

Tief gehende Auseinandersetzung mit dem menschlichen Geist

Das Werk ist in drei große Abschnitte aufgeteilt. Im ersten setzt sich der Autor mit der Psychologie als wissenschaftlicher Disziplin auseinander und attestiert ihr zunächst nicht nur mangelnde Kompaktheit, sondern auch fehlendes Selbstbewusstsein. Fundiert legt er dar, was die Disziplin leisten kann und muss – oder eben nicht, wenn es um die Erklärung von Bewusstsein geht.

Die tief gehende Auseinandersetzung dient auch dazu, Bewusstsein in Anlehnung an Brentano auf die »implizite Anwesenheit eines Ichs« zurückzuführen. Wird das Ich hingegen als ein Produkt des Bewusstseins verstanden, müsste man die sehr viel schwierigere Frage beantworten, woher das Bewusstsein stammt. Aber wie kommt in einem sonst subjektlosen Universum Subjektivität in die Welt, und wozu ist sie gut?

Im Rahmen eines Gedankenexperiments erweitert Prinz das bisherige Konzept der Repräsentation zur Selbstrepräsentation. Während primäre Steuerungssysteme die Umwelt abbilden, wird die Beziehung zwischen Primärsystem und Umwelt durch sekundäre Steuerungssysteme repräsentiert. Selbstrepräsentation könne somit das widerspiegeln, was Subjektivität als zentrales Kennzeichen bewussten Erlebens in der intentionalen Beziehung zwischen Inhalt, Akt und Subjekt beinhaltet.

Im zweiten Abschnitt des Buchs diskutiert Prinz, wie die Sekundärsteuermechanismen entstehen könnten. Zunächst unterscheidet er implizite und explizite Repräsentationen. Letztere gründen auf ersteren und sind daher deutlich komplexer. Während implizite Repräsentationen eine effiziente Handlungssteuerung ausreichend erklären, so Prinz, integrieren explizite Repräsentationen sowohl Informationen über Dinge als auch über das System, das sie darstellt. In anderen Worten: Repräsentiert wird nicht nur das, was ein Individuum über die Welt weiß, sondern auch, von wem und in welcher Form dieses Wissen besessen wird. Das sei nicht nur die Grundvoraussetzung für bewusstes Erleben, sondern auch, um zwischenmenschliche Interaktionen und Kommunikation zu ermöglichen.

Darüber hinaus erläutert Prinz, wie Subjektivität und Bewusstsein durch soziale Spiegelprozesse entstehen könnten: »Menschen werden dadurch zu bewusst wahrnehmenden und denkenden Subjekten, dass sie sich zu eigen machen, was sie anderen zuschreiben, und dass sie wahrnehmen, was andere ihnen zuschreiben.« In den folgenden Kapiteln erörtert der Autor, wie Subjektivität und Bewusstsein von sozialen Praktiken und Diskursen abhängt und durch sie geformt wird. Dabei diskutiert er auch, inwiefern Tiere und Maschinen über Bewusstsein verfügen können.

Im letzten Abschnitt wendet sich Prinz zunächst der Frage zu, wie real Bewusstsein ist, wenn es sich schlussendlich bloß um ein soziales Artefakt handle. Der Autor ist überzeugt, ein Illusionsverdacht könne ausgeräumt werden. Selbst wenn Subjekte sozial gemacht sind, gibt es sie wirklich. Und wie steht es um den freien Willen? Dass sich Psychologen zu dieser Thematik äußern, hält Prinz für in etwa so notwendig wie den Vortrag eines Zoologen zu Einhörnern. Denn aus psychologischer Perspektive sei die Freiheit des Willens zu leugnen. Das intuitive Erleben subjektiver Freiheit lasse sich allerdings aus der Rolle des mentalen Selbst heraus erklären. Demnach habe der Mensch zwar von Natur aus keinen freien Willen, könne ihn sich aber durch Zuschreibungen zu eigen machen. Wegen der damit einhergehenden positiven sozialen Implikationen, etwa Verantwortlichkeit, ist dies aus Sicht des Autors zu begrüßen.

Wem die beschriebenen Inhalte bekannt erscheinen, irrt nicht. Bis auf die vergleichsweise kurzen Kapitel 11 und 12 beruhen die Ausführungen von Prinz auf bereits veröffentlichten Beiträgen aus den letzten 25 Jahren. Dass die für das vorliegende Werk überarbeiteten und zusammengeführten Beiträge »Spuren ihrer Herkunft« enthalten, gesteht Prinz gleich zu Beginn ein. Die zusätzliche inhaltliche Tiefe und Dichte seiner Ausführungen sowie eine komplexe Gedankenführung machen die Lektüre nicht immer einfach. Wer sich aber darauf einlässt, darf einen intellektuellen Lese- und Erkenntnisgenuss erwarten.

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