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»Billie und seine Gene«: Das Apfelkuchenrezept und die Gene

Dem Sachbuch für Grundschulkinder gelingt es, die abstrakten und komplizierten Regeln der Genetik im Comicstil und in kindgerechter Sprache interessant und spannend zu vermitteln.
Schülerin studiert ein DNA-Modell

Als im Jahr 2012 Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna die Genschere CRISPR-Cas9 entdeckten, revolutionierten sie damit das Bearbeiten von Genen. Seither wurde die Genschere zigfach angewendet: Wissenschaftler griffen damit in das Erbgut von Pflanzen, Tieren und auch in menschlichen Stammzellen ein – beispielsweise, um Krankheiten besser bekämpfen zu können. Gerade weil sie so einfach funktioniert, weckt die Genschere auch bei denen Begehrlichkeiten, die damit den Erbcode neu schreiben möchten. Um zum Beispiel eines Tages »Babys nach Maß« kreieren zu können.

Das Kindersachbuch »Billie und seine Gene« von Stefan Boonen und Wout Schildermans alias Melvin folgt genau solch einer Sciencefiction-Fantasie: Ein Mann und eine Frau bestellen in »Dem Laden« ein Kind mit einer Lieferzeit von neun Monaten, den kleinen Billie. »Falsch!« – wird jetzt jedes Grundschulkind rufen. »Natürlich kommen Kinder eigentlich gar nicht aus ›Dem Laden‹, sondern aus dem Bauch der Mutter – aber der Vater und die Mutter aus unserem Buch müssen das noch lernen«, klärt Stefan Boonen kurz darauf sicherheitshalber auf. Doch in diesem Buch mit seiner munteren Mischung aus Comicstil, spannenden Erzählpassagen und clever aufgebauten Wissenseinheiten geht es nicht um Sexualaufklärung, sondern um Genetik.

Der Verkäufer führt die zukünftigen Eltern durch ein Labor mit 23 Regalen, aus denen sie die Eigenschaften ihres Kindes auswählen dürfen: Haarfarbe, Größe, Geschlecht, Talente. Die Rahmenhandlung mit den Eltern, die sich ein Baby katalogmäßig zusammenstellen, und dem kleinen Billie, der viele Fragen stellt, ist geschickt gewählt – erlaubt sie doch dem Autoren-Illustratoren-Duo, an bestimmten Stellen thematisch tiefer einzusteigen und einzelne Aspekte hervorzuheben.

So etwas Abstraktes und Kompliziertes wie Genetik Kindern erklären – geht das überhaupt? Und ob! Dafür greifen Boonen und Melvin tief in die Trickkiste zeitgemäßer Wissensvermittlung und bauen auf Spannung, verrückte Ideen, Identifikation und Komik. So haben sie zuerst einmal ihre eigenen Gene untersuchen lassen: »Wir mussten dreimal in ein Glasröhrchen spucken und zwei abgeschnittene Zehennägel abgeben.« Und siehe da: Ihre Gene sind zu 99,9 Prozent mit denen von allen anderen Menschen vergleichbar. Was ist mit den restlichen 0,1 Prozent? Die erklären die beiden mit einer Apfelkuchenrezept-Analogie. Schließlich weiß jedes Kind, dass man aus einer Hand voll gleicher Zutaten unterschiedliche Kuchen backen kann. »Kuchen mit großen oder kleinen Apfelspalten, dickem oder dünnflüssigem Teig, luftig oder schön krümelig.«

Kreative Bilder und Texte lassen Kinder staunen

Gründlich, genau und gut verständlich erklären Autor Boonen und Illustrator Melvin in 15 Kapiteln solche und andere Fragen zu Vererbung, genetischen Variationen oder Gentechnologien: Was geht im Inneren der Zellen vor? Was macht uns Menschen einzigartig? Warum hat ein Reiskorn doppelt so viele Gene wie ein Mensch? Dabei gebührt auch der Übersetzerin Birgit Erdmann ein dickes Lob, die klug und einfallsreich stets den richtigen Ton findet. Immer tiefer geht es in den Bauplan des menschlichen Lebens hinein – Zellen, Chromosomen, Gene, DNA –, veranschaulicht durch erfrischende Bilder wie dem von Ameisen, die einen riesigen Vergnügungspark bauen, um den Einfluss der Gene auf unsere Zellen zu verdeutlichen. Beispiele und Vergleiche aus dem Kinderalltag leuchten auf Anhieb ein und sind dazu fachlich fundiert. Dafür sorgt die Expertise von zwei Beratern der Katholischen Universität Löwen: dem Genetikprofessor Gert Matthijs und der Biologin sowie Wissenschaftsjournalistin Hanneke Van Camp.

Da staunen nicht nur Kinder. Hier schließt sich auch so manche Wissenslücke im erwachsenen Hirn, das sich in der Regel zuletzt in der Schule derart intensiv mit Genetik beschäftigt haben dürfte. Eine gute didaktische Idee ist es auch, am Ende wichtiger Themenschwerpunkte das neu erworbene Wissen im Schnelldurchlauf pointiert zusammenzufassen. Gibt es eigentlich auch Grund zu meckern? Durchaus. Zum Beispiel darüber, dass wir in den Laborszenen deutlich mehr Wissenschaftler als Wissenschaftlerinnen bei der Arbeit sehen. Oder dass Francis Crick und James Watson als Entdecker der DNA genannt werden, ohne dass die entscheidende Beteiligung ihrer Kollegin Rosalind Franklin erwähnt wird.

Noch ein Wort zu den Illustrationen: Melvins kreative Zeichnungen, seine Liebe für absurde Details und schräge Gestalten sind so viel mehr als eine bloße Bebilderung der Texte. Denn sie erzählen an vielen Stellen die Geschichte parallel weiter oder führen bestimmte Aspekte aus. Sie sind witzig und überdreht, ähneln oft Karikaturen und sorgen mit Farbakzenten in Neonorange und einer neugierigen Katze als Nebenfigur dafür, dass sich Kinder auch optisch angesprochen fühlen. Auf jeder Seite ist so die einzigartige, kreative DNA der beiden geistigen Väter zu sehen, zu lesen und zu spüren, die in diesem Gemeinschaftsprojekt Gestalt angenommen hat.

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