Geschichte der Philosophie
Der deutsche Titel des Buchs ist irreführend, denn es handelt sich nicht um ein Werk über allgemeine Ideengeschichte, sondern um die Geschichte philosophischer Bücher. Da trifft es der englische Titel besser: »The Philosopher's Library. Books that Shaped the World«. Auf den ersten Blick erscheint es bunt und gefällig: zahlreiche, qualitativ hochwertige, mitunter mehrseitige Abbildungen von mittelalterlichen Kodizes auf Latein oder Arabisch, chinesischen Schriftrollen und modernen Bucheinbänden. Dazu kommen viele Porträts von bekannten und weniger bekannten Denkern in unterschiedlichsten Größen.
Inhalt der Bücher steht nicht im Fokus
Es geht also um Bücher und ihre Bedeutung, weniger um deren Inhalt. Die zentrale These des Philosophen Adam Ferner und der Wissenschaftshistorikerin Chris Meyns: Philosophie ist stets politisch. Deutlich wird das, wenn man fragt, warum manche Texte und Philosophen als Klassiker und Geistesgrößen gepriesen, andere dafür ignoriert, verpönt oder gar verbrannt wurden. Die Kanons der philosophischen Literatur sind Orte der Herrschaft und des Widerstands, so die Autoren.
Zeitlich und räumlich ist diese Geschichte der philosophischen Werke umfassend angelegt. In sieben Kapiteln geht die Reise chronologisch von den ägyptischen Hieroglyphen bis zu Alain de Bottons »School of Life« (2019). Jedes Kapitel versucht dabei einen zeitlichen Abschnitt der Weltgeschichte unter einem einheitlichen Blickwinkel zu betrachten. Die Parallelisierung von historischen Entwicklungen gelingt mal gut (etwa die Institutionalisierung und Kodifizierung des Wissens im römischen Kaiserreich sowie in Indien und China), mal weniger gut (die Gegenüberstellung der europäischen Aufklärung und der japanischen Edo-Zeit).
Meistens listen die Autoren die aus ihrer Sicht wichtigsten Bücher der jeweiligen Zeit auf. Mitunter erscheint diese Auswahl willkürlich, nachvollziehbare Kriterien erläutern sie nicht. Die Inhalte behandeln sie – wenn überhaupt – nur sehr allgemein und verkürzt. Damit bleibt die Gesamtschau stets nahe an der Oberfläche.
Auffällig ist die Hervorhebung der Themen Kolonialherrschaft und Sklaverei. Besonders den »philosophischen Rassismus« geißeln die Autoren an vielen Stellen. An anderer Stelle bezeichnen sie hingegen die Unterwerfung des indischen Mogulreichs durch das britische Empire als eines der wichtigsten Ereignisse für die Philosophie des 19. Jahrhundert – was sich zumindest in Frage stellen lässt.
Die ganz den identitätspolitischen Zeitgeist atmenden Autoren positionieren sich intellektuell und politisch bereits im Vorwort, indem sie den britischen Altertumsforscher Martin Bernal (1937–2013) – der mit seiner These von den afrikanischen und asiatischen Wurzeln der griechischen Zivilisation in der Fachwelt hitzige Debatten auslöste – und die US-amerikanische Poetin und Bürgerrechtsaktivistin Audre Lorde (1934–1992) heranziehen. Ausgerechnet deren Aphorismus »Es gibt keine neuen Konzepte« soll Startpunkt für ein Buch über philosophische Neuerungen sein.
Wie ernst die Autoren diesen Ansatz genommen haben, ist nicht ganz klar. Wenn sie etwa behaupten, Gottfried Wilhelm Leibniz' Schrift zur Theodizee (also die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes) sei eine »Wiederaufnahme« von Gedanken, die sich bereits in 3000 Jahre alten babylonischen Tontafeln finden, ist das natürlich Unfug, schließlich wurden diese Tafeln erst lange nach Leibniz entschlüsselt. Im Übrigen sind solche Formulierungen zumindest irreführend, und die Verknüpfung von inhaltlich ähnlichen Texten über Epochen- und Kulturgrenzen hinweg willkürlich und damit ohne Erkenntnisgewinn.
Insgesamt eignet sich das optisch ansprechende Buch für bibliophile Leser. Es hat zwar einen politischen Anspruch, besitzt aber keinen besonderen Tiefgang.
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