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Vom Palast zur Polis

Zu betonen, dass die Wiege der Demokratie in Griechenland stand, hieße Eulen nach Athen tragen. Wie allerdings diese Staatsform vor 2500 Jahren am Fuß der Akropolis Einzug hielt, ist nicht jedem bekannt. Die an der Universität Duisburg-Essen lehrende Althistorikerin Elke Stein-Hölkeskamp beschreibt es im vorliegenden Buch – umfassend, informativ und spannend.

Hölkeskamp holt weit aus. Nah an den Quellen und anhand neuester Forschungsergebnisse des archäologischen Siedlungsbefunds erzählt die Autorin, wie sich auf den Trümmern der mykenischen Palastkultur bereits in den "Dunklen Jahrhunderten" (um 1075-900 v. Chr.) vereinzelt Strukturen ausbildeten, die im archaischen Griechenland (900-550 v. Chr.) Gestalt annahmen und zur Entstehung des griechischen Stadtstaats führten. Jenes politischen Gebildes also, das nach Karl Marx zur "wirklichen Privatangelegenheit" der Bürger wurde.

Abschaffung der Privatjustiz

Die Autorin entfaltet das komplexe Panorama einer Epoche des Aufbruchs, der Neuerung und des Experimentierens. Zu Recht gilt die archaische Zeit Griechenlands als fundamental – sowohl für die Antike als auch für die spätere "europäische" Geschichte. In diese Ära fielen nicht nur bahnbrechende politische und kulturelle Neuerungen, etwa die Entstehung des griechischen Alphabets oder der beiden großen Epen Homers, der "Ilias" und der "Odyssee". Erstmals wurde auch im Zuge der drakonischen Gesetze (um 620 v. Chr.) versucht, private Rache und Selbstjustiz in die geordneten Bahnen staatlicher Rechtsfindung zu lenken, um den ersten Schritt in Richtung eines staatlichen Gewaltmonopols zu machen.

Zudem bildete sich im archaischen Griechenland die Polis als Standardmodell organisierten Gemeinschaftslebens und politischen Denkens heraus. Dieser in sich geschlossene, autonome politische Personenverband war die Keimzelle der Demokratie. Seine Bewohner gaben sich Gesetze, schufen eigene Institutionen und Ämter, verehrten dieselben Götter und sprachen denselben Dialekt, feierten gemeinsame Feste, trafen sich regelmäßig im Zentrum des kommunalen Lebens, der Agora, und stellten mit der Phalanx schwerbewaffneter Krieger (Hopliten) eine gemeinsame Formation wehrfähiger Bürger auf die Beine.

Kultur des Wettbewerbs

Daneben skizziert die Autorin eine der bedeutendsten Migrationsbewegungen der Antike: die Ausbreitung der griechischen Kultur entlang der Küsten des Mittel- und des Schwarzen Meers im Zuge der großen Kolonisation (750-550 v. Chr.). Ausführlich beschreibt sie die Lebenswelt der Bauern und Aristokraten, die aufkommende Bürgerkultur in den Stadtstaaten sowie die Ursachen für inneradlige Konflikte in den Poleis. Das schon bei Homer geschilderte Konkurrenzdenken innerhalb der adligen Oberschicht sieht Hölkeskamp als Grundkonstante im archaischen Griechenland. Ständiges Sich-Vergleichen und die Lust, andere zu übertreffen und immer der Erste zu sein, ob im Sport oder in der Dichtung, waren entscheidende Elemente der griechischen Kultur. Nicht zufällig wurden in Griechenland die olympischen Spiele erfunden. Diese "agonale Streitkultur" hatte auch ihre Schattenseiten. Vor allem dann, wenn einzelne Adlige nach politischer Vorherrschaft strebten und die Macht im Staat usurpierten – wie im Falle der Tyrannis, einer Sonderform aristokratischer Herrschaft, die im 7. und 6. Jahrhundert v. Chr. in zahlreichen Staatstaaten des archaischen Griechenlands Einzug hielt, auch in Athen.

Gegen monokratische Adelsherrschaft machte der athenische Reformer Kleisthenes gegen Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. mobil, indem er mit der Neuordnung des attischen Bürgerverbandes eine Verfassung ("Isonomie") institutionalisierte, die auf dem Prinzip der Gleichheit beruhte und die gesamte Bürgerschaft an der Polis teilhaben ließ. Sein epochales Experiment, wonach die Bürger sich selbst regieren sollten, ebnete den Weg zur attischen Demokratie in klassischer Zeit.

"Das archaische Griechenland" gewährt interessante Einblicke in eine bewegte Zeit, die bis in die Gegenwart ausstrahlt. Der lesenswerte Band hält einige Überraschungen parat – etwa die Erkenntnis, dass die Entstehung der Demokratie weder zwangsläufig war noch von politischen Zielvorstellungen gesteuert wurde, sondern vielmehr mit Kämpfen des Adels zu tun hatte, vielleicht sogar nur deren Nebenprodukt bildete.

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