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Spannender Glibber

Von eklig bis faszinierend, von krank machend bis überlebenswichtig: Schleim hat sehr viele Facetten. Dieses Buch beleuchtet sie.

Wie kommt man auf die Idee, ein Buch über Schleim zu schreiben? Die Autorin Susanne Wedlich, die unter anderem für »Spektrum.de« schreibt, klärt in der Einleitung auf: Ein Artikel im »New Scientist« habe ihr den Anstoß gegeben. Im Lauf ihrer langjährigen Recherchen stieß sie auf immer neue Aspekte und Anekdoten zum Thema und fügte diese Puzzlestücke zu einem großen und umfassenden Bild zusammen.

Herausgekommen ist ein umfangreiches Werk über Schleim in all seinen Facetten, über »seine Milliarden Jahre währende und doch verkannte Geschichte […] und seine essenzielle Bedeutung für uns und alle anderen Organismen«. In 26 Kapiteln befasst sich die Autorin mit kulturellen Aspekten ebenso wie mit physikalischen, biologischen, ökologischen Phänomenen und spannt so einen weiten Bogen.

Weiche Wesen aus wackligem Werkstoff

Zunächst widmet sich Wedlich dem Schleim als Ekelerreger in Literatur und Film. Dabei kommt sie immer wieder auf den »Übervater der fantastischen Horrorliteratur«, den Amerikaner H. P. Lovecraft, zu sprechen, der unter anderem die »amorphen Shoggothen« kreiert hat, die aus tiefschwarzem Schleim bestehen und daraus Glieder formen können. Die Autorin geht aber auch auf die Gruselkomödie »Ghostbusters« ein. Der menschliche Ekel vor Glibber, so eines ihrer Fazits, ist eine durchaus sinnvolle Schutzfunktion gegenüber Mikroben.

Doch was ist Schleim überhaupt? »Eher eine Stoffeigenschaft als ein Material«, zitiert die Autorin den Mikrobiologen Hans-Curt Flemming, und »eigentlich nicht mehr als steifes Wasser«. Schleim – oder Hydrogel – besteht demnach vor allem aus Wasser, das von einem dreidimensionalen Molekülgerüst in Form gehalten wird. Die Autorin beschreibt die Besonderheit dieses Materials, das die Eigenschaften von Festkörpern und Flüssigkeiten vereint. Sie erklärt unter anderem, wie Schleim als Gleitmittel und Klebstoff dient, wie Schnecken sich mit seiner Hilfe festheften und fortbewegen. Dabei erfahren die Leser nicht nur Überraschendes – so investieren Schnecken ein Drittel ihrer Gesamtenergie in das Kriechen –, sondern auch Kurioses: Noch bis ins 20. Jahrhundert wurden Nacktschnecken als Wagenschmiere verwendet.

Im Kapitel »Festung Mensch« vergleicht Wedlich den menschlichen Organismus mit einer Festungsstadt, die sich gegen eine feindliche Umwelt wehrt – mit Hilfe verschiedener Hydrogelsysteme. In dem Zusammenhang spielen diverse Schleimhautarten, die extrazelluläre Matrix sowie mit Hydrogel gefüllten Kernporen ein Rolle. Die Autorin beleuchtet deren vielfältige Aufgaben und bringt deren Fehlfunktionen in Zusammenhang mit verschiedenen Krankheiten: Infektionen, Krebs, Mukoviszidose, Bluthochdruck oder Schlaganfall.

Ein weiteres Thema ist die historische Suche nach dem Urschleim und die Evolution des Lebens ausgehend von Mikroben und ihren Schleimen. Frühe Mehrzeller wie Quallen waren überwiegend schleimig beziehungsweise gelatinös. Hier zeigt Wedlich viele Verknüpfungen mit Geschichte, Kultur und Kunst auf: Die Nesseltiere als Zeugen der Evolution standen lange im Fokus der Naturforschung, inspirierten aber auch Ernst Haeckel zu seinen berühmten Tierzeichnungen. Die »weichen Rundungen in Haeckels Abbildungen finden ihr Echo in den eleganten Linien des Jugendstils«, assoziiert Wedlich.

Schleimpilze, Schleimaale oder den Zwergtintenfische, die lumineszente Bakterien in einer mit Schleim ausgekleideten Tasche als Tarnung züchten, belegen zusätzlich, dass Schleime praktisch überall auf der Erde eine wichtige Rolle spielen. Und zwar auch dort, wo man sie eher nicht vermutet, etwa in Wüsten, unter der Erde, ja sogar in der Atmosphäre. Denn Schleim ist ein universell vorkommendes Grenzflächenmaterial, auch zwischen den Spären Luft, Wasser und Boden. So sind die Ozeane von einer »Meereshaut« bedeckt, die aus einer dünnen Gelschicht als Grenze zwischen Wasser und Luft besteht. Das Pendant dazu sind biologische Bodenkrusten als »lebende Haut der Erde«, mit ebenfalls schleimigem Anteil. Sie kommen in Wüsten und Trockengebieten vor, nehmen Nährstoffe auf und transformieren sie. Zum Schluss wagt Wedlich einen Blick in die Zukunft. Dabei berichtet sie von Produkten, die Forscher inspiriert von Schleim entwickeln: Biofilter für Plastikpartikel und neue Klebstoffe für die Medizin etwa.

Das schön gestaltete Buch aus der Reihe »Naturkunden« besticht nicht nur mit seinem Inhalt, sondern auch mit seinem grün-weiß schimmerndem Leinenumschlag und zahlreichen farblich passenden Illustrationen von Michael Rosenlehner. Wedlichs großer Rundumschlag zum Schleim ist ihr gelungen; man ist nach der Lektüre überrascht von der Vielfalt und Bedeutung des Themas und merkt der Autorin ihre Fasziniertheit an. Zahlreiche Anekdoten und Kuriositäten machen das Buch sehr kurzweilig. Ein lesenswertes Werk für Menschen, die ein Interesse an Naturwissenschaften, aber auch an Geschichte und Kultur hegen. Hinweise auf weiterführende Literatur runden den Band ab.

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