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»Das Buch, von dem du dir wünschst, dein Mathe-Lehrer hätte es gelesen«: Eine Werbung für die Mathematik

Eugenia Cheng möchte für die Mathematik begeistern, indem sie deren grundlegende Ideen vermittelt. Ein guter Ansatz, aber mit kleinen Schwächen in der Ausführung.

»Dies ist kein Mathe-Lehrbuch und auch kein Buch über die Geschichte der Mathematik. Es ist ein Buch über Mathe-Gefühle« – so formuliert die britische Mathematikerin Eugenia Cheng das Anliegen ihres Buchs in der Einleitung. Dies ist sicher ein interessanter Ansatz, denn Mathematik wird – vor allem als oft trockenes Unterrichtsfach – von den meisten Menschen als anstrengend und kompliziert angesehen und nach Möglichkeit gemieden. Die Autorin will hier Abhilfe schaffen, indem sie sich auf scheinbar einfache Fragen konzentriert, die aber durchaus bedenkenswert sind. Deshalb geht es nicht um auswendig gelerntes Wissen und vorgegebene Lösungen für mathematische Probleme, sondern um grundlegende Ideen und Gedanken für Leser, die sich nicht mit vorgefertigten Antworten zufriedengeben möchten.

Wie die Autorin betont, sind für dieses Buch mathematische Verfahren, die sich nur an vorgegebenen Algorithmen orientieren, eher uninteressant. Deshalb beschreibt sie gerade nicht die rigiden Regeln, die viele von uns aus dem Mathematikunterricht kennen, sondern die Neugierde, grundlegende Probleme zu überdenken. Mathematik und die Beschäftigung mit ihr entsteht aus vermeintlich leichten Fragen, beispielsweise »Warum ist 1+1=2?« oder »Warum ist –(–1)=1?«. Und, können wir annehmen, dass die Kreiszahl Pi 3,1415... ist oder beträgt ihr tatsächlicher Wert 4? Dies ist der Tenor des Buchs. In acht Kapiteln beschreibt Eugenia Cheng, wie Mathematik entsteht und funktioniert, warum wir Mathematik »machen« oder was gute Mathematik ausmacht. Mit zahlreichen Beispielen und Denkanstößen vermittelt die Autorin, dass es bei Fragen der Mathematik nicht so sehr um das richtige Rechnen geht, sondern um das grundlegende Verständnis von Ideen und Methoden.

Unmotivierte Exkurse

Nach diesem grundsätzlichen Lob zwei Wermutstropfen: Warum der englische Originaltitel »Is Math real?« mit der allzu vereinfachenden und daher irreführenden Phrase »Das Buch, von dem du dir wünschst, dein Mathe-Lehrer hätte es gelesen« übersetzt wurde, versteht man nicht, denn dieser Titel hat nichts mit dem Inhalt zu tun, sondern erstand wohl eher aus PR-Überlegungen. Und die Schreibweise »Mathe-Lehrer« ist zumindest recht kreativ. Ein anderer Punkt, der auch inhaltlich problematisch ist, besteht in der direkten Übernahme von Merksätzen und Eselsbrücken aus dem Englischen. Kann ein deutschsprachiger Leser wirklich mit Regeln und Abkürzungen wie »sohcahtoa«, »foil« oder »bodmas, bedmas, podmas, pedmas, pemdas« etwas anfangen, selbst wenn die Autorin sie jeweils kurz erklärt?

Ein etwas ärgerlicher Schwachpunkt des Buchs sind die zahlreichen Abschweifungen zu persönlichen Erlebnissen und politischen Fragen, die stellenweise recht unmotiviert auftauchen und moralisierend daherkommen. Fragen über die Mathematik unter dem Gesichtspunkt des Kolonialismus oder gesellschaftskritische Aussagen über die Vorherrschaft weißer westlicher Männer können ernst zu nehmende Diskussionsbeiträge sein. Aber leider tauchen sie in diesem Buch immer wieder unvermittelt auf, so dass sich dem Leser der Bezug zu den gerade erklärten mathematischen Problemen nicht erschließt.

So findet sich in einem Kapitel über die Bedeutung von »Buchstaben« in der Mathematik eine etwas langatmige Erörterung von geschlechtsspezifischen Pronomen, die »nicht-binäre Menschen« einbeziehen sollten. Und in dem Kapitel »Bilder« schreibt die Autorin, »dass diese Verwendung von Bildern behindertenfeindlich« sei, und sie entschuldigt sich bei blinden Menschen für die Verwendung von Diagrammen. Mitgefühl ist bestimmt gut, aber die Grenze zu Albernheiten wird mit solchen Aussagen schnell überschritten. Sicher wären solche der Autorin offensichtlich sehr wichtigen Überlegungen und Gedanken sinnvoller und deutlich nachvollziehbarer, wenn sie diese in einem separaten Kapitel zusammengefasst hätte. Eine noch bessere Lösung wäre wohl ein eigenständiges Buch über die von Eugenia Cheng allzu kurz angerissenen sozialen und politischen Themen.

Wenn man von diesen – eigentlich unnötigen, weil leicht vermeidbaren – Schwächen absieht, ist das Buch durchaus lesenswert, da es andere als die üblichen Aspekte der Mathematik aufzeigt und illustriert.

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