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Buchkritik zu »Das Ende der Gesundheit«

Nach einer fast zwanzigjährigen Pause brach 1995 in der Kleinstadt Kikwit Ebola aus und verbreitete Furcht und Schrecken. Noch immer war wenig über die Viruskrankheit bekannt, und von der Regierung kamen nur spärliche und widersprüchliche Informationen. Die Menschen sahen stattdessen, dass sich die Seuche rasend schnell verbreitete und wie ihre Opfer jämmerlich verbluteten. Die amerikanische Biologin, Bakteriologin und Immunologin Laurie Garrett weiß die Situation in Zaire in aufrüttelnden Bildern zu zeichnen und den Leser mit der Schilderung von Einzelschicksalen zu fesseln. Nach Afrika nimmt sie ihn weiter mit auf eine schreckensreiche Reise nach Indien, Osteuropa und in ihr Heimatland. Zwischen Reportage, Interview, Zeitungsmeldungen und Bericht wechselnd, beleuchtet sie das globale Gesundheitswesen. Geschickt verflicht die mehrfach preisgekrönte Wissenschaftsjournalistin Garrett dabei trockene Statistiken mit eigenen Erlebnissen. Zahlreiche Quellenangaben in dem Buch zeugen von umfangreicher Recherchearbeit, auch wenn sich die Zahlen manchmal widersprechen. So erfährt der Leser, dass sich das tödliche hämorrhagische Fieber in Zaire so rasch ausbreiten konnte, weil die wesentlichen Elemente eines öffentlichen Gesundheitssystems fehlten. Das Wohl der Bevölkerung galt nicht viel in dem Land, in dem der korrupte Diktator Mobutu Sese Seko die Staatskassen plünderte. So bestand in den Dörfern die einzige Versorgung der Kranken in der Pflege durch Verwandte und Freunde. Das Virus rottete hier oft ganze Familien aus. In den Städten fand es zusätzlich einen idealen Nährboden in den Kliniken, wo Pfleger und Ärzte wegen der katastrophalen Hygienebedingungen unbewusst zu seiner Verbreitung beitrugen. Auch zur Situation in Indien, wo 1995 die als ausgestorben geltende Pest zurückkehrte und Hunderte von Toten forderte, liefert Garrett Hintergrundinformationen: Obwohl das Wirtschaftswachstum in Indien Rekorde brach, wurden die Ausgaben für das öffentliche Gesundheitswesen gekürzt. Der Staat übertrug die Verantwortung auf die Bundesländer, die jedoch weder finanzielle Mittel noch ein besonderes Interesse daran hatten und die Krankheitsfälle vielfach ignorierten. Garrett beschreibt das Verhalten einzelner Ärzte ebenso wie das diagnostische Durcheinander bei den staatlichen Institutionen, deren Glaubwürdigkeit daraufhin endgültig gegen Null ging. Die Medien schließlich erzeugten zusätzliche Ängste mit einer Mischung aus Beruhigungsfloskeln und Panikmache. Misstrauen ("Betrayal of Trust" ist der Originaltitel), Aberglaube und Angst – auf diesem Grund wächst Panik. In den Ostblockländern litt das öffentliche Gesundheitswesen nicht nur an der allgemein verbreiteten Korruption, sondern auch an der intellektuellen Lähmung der Naturwissenschaftler. Durch das herrschende politische und wirtschaftliche Chaos kam es in Russland in den neunziger Jahren zu einem exponentiellen Anstieg der Immunschwäche Aids. Oft fehlte das Geld, um Krankheiten wirksam zu bekämpfen, sodass eine ganze Reihe von Epidemien ausbrach, mit einer erschreckend hohen Zahl an erkrankten Kindern. Selbst für das hoch entwickelte Amerika malt Garrett ein düsteres Bild. In den Vereinigten Staaten ist zwar die Anzahl an Aids-Toten und Syphiliserkrankungen gesunken, aber die Zahl an Neuinfektionen bleibt hoch. Ärzte setzen oft rein routinemäßig Antibiotika ein, wodurch immer häufiger Resistenzen auftreten. Die Bedrohung durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck oder Fettleibigkeit nimmt stark zu. "Es brauchte Jahrhunderte, um in Nordamerika ein wirksames öffentliches Gesundheitswesen aufzubauen, und weniger als zwei Jahrzehnte, es zu ruinieren", resümiert die Autorin. Meiner Ansicht nach malt die Autorin zu viele Horrorbilder, doch gelingt es ihr, damit den Leser aufzurütteln. Ihre Darstellung zeigt, wie sehr die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse und das öffentliche Gesundheitswesen sich gegenseitig beeinflussen. Noch immer leidet ein Großteil der Weltbevölkerung unter grundlegenden Entbehrungen, sind Ziele und Aufgaben des Gesundheitswesens unklar und steht ein oberflächliches Verständnis von Kostenwirksamkeit im Vordergrund. Garrett bleibt indes nicht bei der Zustandsbeschreibung stehen, sondern schlägt konkrete Abhilfen vor. Wie sie in einer recht langen Einleitung und einem Epilog beschreibt, veranlasste sie das große Echo auf ihren Bestseller "The Coming Plague" ("Die kommenden Plagen", siehe Spektrum der Wissenschaft 9/1996, S. 120) zu der Reise, aus der das vorliegende Buch hervorgegangen ist. Es ist Laurie Garrett auf jeden Fall damit gelungen, persönliche Betroffenheit und professionellen Journalismus in eindrucksvoller Art zu verbinden.
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 02/2002

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