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Von Stimmungsmachern und Meinungsbildnern

Stimmungen sind geheimnisvoll und flüchtig. Oft wissen wir nicht genau, warum wir gerade gut gelaunt sind oder weshalb wir Trübsal blasen. Mit politischen Stimmungen verhält es sich ganz ähnlich; sie sind machtvoll, mitreißend und wechselhaft zugleich. Wie wir persönlich beispielsweise zur Aufnahme von Migranten stehen, ist weitgehend eine Frage des gesellschaftlichen Klimas: Während im Sommer 2015 noch überall euphorische Menschen zu sehen waren, die Teddybären verteilten, machen sich spätestens seit der Silvesternacht bei vielen Bürgern Verunsicherung und Skepsis breit.

Doch wie entstehen solche Gefühlslagen? Was beeinflusst sie? Und wie kippen sie? Solchen Fragen widmet sich Heinz Bude von der Universität Kassel in seinem neuen Buch. Darin nimmt der Soziologieprofessor seine Leser mit auf eine Reise durch die wichtigsten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strömungen der vergangenen 100 Jahre, etwa den Konformismus der 1950er, das Gefühl der sexuellen Befreiung in den 1960ern und die vermeintliche Selbstverwirklichung in den 1970er Jahren. Dabei zitiert er bedeutende Persönlichkeiten der Philosophie und Psychologie, etwa Friedrich Nietzsche, Immanuel Kant und Daniel Kahneman.

Atemlos durch den Stoff

Themen wie Emanzipation oder "Generation Y" spult der Autor in Schwindel erregendem Tempo ab. Die Lektüre wird dadurch nie langweilig, allerdings hinterlässt Bude so den Eindruck eines ungeduldigen Geschichtenerzählers, der von einem Kapitel zum nächsten hastet und sich für keins gebührend Zeit nimmt. Er führt manche Gedanken nicht ganz zu Ende und lässt Fragen offen, vor allem die nach der Zukunft. Was etwa wird mit einer Gesellschaft passieren, deren Mitglieder sich mehrheitlich ins Private zurückziehen und der Politik kaum noch Beachtung schenken? Auch vereinfacht der Autor mitunter sehr: Fremdenfeindlichkeit gehe auf die Macht des "zuerst da Gewesenen" zurück, und die "Generation X" fühle sich zwischen den Babyboomern und der "Generation Y" wie das fünfte Rad am Wagen.

Der stärkste Teil des Buches ist jener, in dem er deutlich macht, wie sehr politische Stimmungen von zufälligen Begegnungen und persönlichen Befindlichkeiten abhängen. Sie entstünden nicht in konstruktiven Debatten, sondern ganz nebenbei am Gartenzaun, an der Supermarktkasse oder am Thresen, in Gesprächen über die Arbeit, über Rechnungen und Krankheiten. Die eigene Meinungsbildung richte sich dabei meist weitgehend nach der vermuteten Überzeugung des Gegenübers. Da niemand als Außenseiter gelten möchte, kommt es häufig vor, dass Bürger ihre Stimme nicht demjenigen Kandidaten geben, den sie persönlich bevorzugen, sondern den vermuteten Favoriten der Mehrheit.

Heinz Bude hat ein solides Werk über das selten beleuchtete Thema der politischen Meinungsfindung geliefert. Wer sich allerdings Antworten auf brennende Fragen erhofft, etwa "Wie wird sich die Haltung der EU-Bürger zur Europäischen Union entwickeln?", wird enttäuscht.

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