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300 Kunstwerke im interdisziplinären Dialog

Eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle baut eine Brücke zwischen Kunst und Wissenschaft. Das begleitende Werk beleuchtet die fachlichen Hintergründe auf gelungene Weise.

»Das Gehirn in Kunst und Wissenschaft« entführt in die gleichnamige Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn, die vom 28. Januar 2022 bis zum 26. Juni 2022 stattfindet – und ist gleichzeitig ein Kunstwerk für sich. Es widmet sich zuerst den Anfängen der Erforschung unseres Denkorgans, die bis in die Mittelsteinzeit zurückreicht. Schädelfunde mit Bohrlöchern als erste Beispiele der Trepanation zeugen davon. Aus dieser frühen Zeit nimmt es die Leserinnen und Leser mit zur näheren Vergangenheit, als die Wissenschaft – aus heutiger Sicht verrückte – Versuche durchgeführt hat, um sich der Funktionsweise des menschlichen Gehirns anzunähern, über die erstaunlichen Methoden der Gegenwart bis in die Zukunft.

Zwischen Kunst und Wissenschaft

Neben der Geschichte des Organs widmet sich das Buch Themen, die sich zwischen psychischen Erkrankungen, optischen Illusionen, Zaubertricks, Neuroenhancern und KI bewegen. Es liefert dabei ganz nebenbei eine Analyse unserer Gesellschaft in verschiedenen Epochen anhand der jeweils vorherrschenden Kulturen und Vorstellungen.

In der interdisziplinären Erzählung stehen Hirnforschung, Philosophie, Kulturwissenschaft und Sciencefiction gleichberechtigt nebeneinander. Der Katalog integriert zudem aktuelle Erkenntnisse, die sich oft noch nicht niedergeschlagen haben: etwa, dass beide Gehirnhälften stets zusammenarbeiten und nichts nur einseitig passiert. Ebenso Erstaunliches fördern die Autoren und Autorinnen zu Tage, wenn sie in einer Reportage über den Neuropsychologen Hans-Otto Karnath die hoch gelobten Berichte und Erzählungen Oliver Sacks' als »alte Hüte« entlarven.

Kurze Episoden von renommierten Wissenschaftlern wie Gerhard Roth, John-Dylan Haynes sowie Michael Pauen (der eine philosophische Perspektive einbringt) beleuchten das Organ aus verschiedenen Blickwinkeln. Aber auch die Erfahrungen einer Neurochirurgin, die bei ihren Operationen am Gehirn mit Patienten spricht, liefern spannende Perspektiven. Neben Interviews lockern Essays oder Erfahrungsberichte den Inhalt auf. Zum Beispiel wird geschildert, wie sich ein weiterer Sinn anfühlt, der die Richtung von Norden anzeigt; und wie das Auskunft darüber gibt, wie Körper und Geist gemeinsam unsere qualitative Wahrnehmung erschaffen.

Auf diese Weise bringt das Buch die Leserinnen und Leser auf den neuesten Stand der Hirnforschung. Dabei räumt es zuweilen mit Vorurteilen auf, etwa mit der verbreiteten Fehlannahme, wir würden nur zehn Prozent unseres Gehirns nutzen. Zudem verschafft das Werk neue Perspektiven auf Krankheiten des Organs. So erzählen Malereien von psychisch Erkrankten vielleicht nachvollziehbarer von deren Sicht auf die Welt, als es ein Wissenschaftler zu erklären vermag.

Jedes der vielen abgedruckten Kunstwerke enthält eine Erklärung, die nicht nur Entstehungszeit und Technik nennt, wie es in Ausstellungen üblich ist, sondern ebenso beschreibt, was den Kunstschaffenden zu dem Werk motiviert hat und was es ausdrücken soll. Wer ein Smartphone bei der Lektüre zur Hand hat, kann an den vielen interaktiven Features Spaß haben: Zum Beispiel findet sich eine Animation davon, wie eine Eisenstange bei einem Unfall das Gehirn des Eisenbahnvorarbeiters Phineas Gage (1823–1860) durchbohrte. In der Folge litt er unter einer starken Persönlichkeitsveränderung, die sich in aggressivem und enthemmtem Verhalten ausdrückte, was ihn seinerzeit zum beliebten Forschungsobjekt machte. Mit dem Handy lässt sich die ganze Ausstellung sogar virtuell in 3-D besuchen.

Das schrille Cover täuscht über den wissenschaftlich fundierten Inhalt hinweg, der eine gelungene Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft liefert. Damit zieht das Buch selbst Personen, die eigentlich nicht allzu kunstinteressiert sind, in seinen Bann. Für Wissenschafts- und Sachbuchfans ist der Band eine neue Erfahrung der Annäherung an unser Denkorgan, der nicht an Tiefe missen lässt.

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