»Das grosse Netz«: Phänomenale Pilze
Wer die Sciencefiction-Serie »Star Trek: Discovery« kennt, dem könnte der Name des Buchautors bekannt vorkommen. Denn der Astromykologe an Bord des Raumschiffs, der im Film den Sporenantrieb für Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit mittels eines fiktiven Myzelnetzwerks entwickelt, trägt den Namen eines realen Pilzforschers: Paul Stamets.
Der »echte« Paul Stamets fing einmal als Holzfäller an, bis ihn die Leidenschaft für Pilze packte. Jetzt ist er seit 50 Jahren Pilzforscher. Und nicht nur das. Er hat Mykologie studiert, eine Ehrendoktorwürde der National University of Natural Medicine verliehen bekommen sowie zahlreiche Auszeichnungen erhalten und entdeckt, dass ein seltener Pilz gegen Pocken hilft. Und viele seiner patentierten Pilzstämme werden in der Forschung genutzt. Kurz gesagt: Er ist einer der bekanntesten Pilzexperten der Welt.
Stamets schreibt verständlich und lesenswert, und zwar über die gesamte Welt der Pilze. Doch in seinem Buch geht es nur am Rande um die leckeren Exemplare, die in der Pfanne landen. Im Zentrum stehen vielmehr diejenigen Arten, welche »die Welt retten können«, weil sie, so der Autor, Schadstoffe im Boden abbauen, in der Medizin gegen Krebs oder HIV-Erkrankungen helfen oder als Rauschmittel nützlich sind. Eingängig schildert Stamets die Mykofiltration, bei der das Pilzgeflecht als Membran Schadstoffe und Bakterien aus Flüssen filtert, würdigt ihre wichtige Rolle in der Waldwirtschaft oder erläutert, wie Pilze als natürliche Pestizide eingesetzt werden können.
Psilocybin, Pilzbrut und Pestizid
Ob sie nun für den Verzehr und mit Blick auf ihre ernährungsphysiologischen Vorteile, für die Forschung, einen Rausch, die Reinigung von verseuchten Böden und Giftmülldeponien oder den Einsatz gegen Pflanzenschädlinge genutzt werden: Pilze zu züchten, ist sehr anspruchsvoll. Denn auch Pilze sind Feinschmecker. Die einen mögen am liebsten Stroh; andere wachsen nicht ohne Holzschnitzel oder am besten in Dübelmehl; dann hilft Kettensägenöl, manche Pilze lieben dagegen Fenchelwurzeln oder Mohrrüben. Stamets‘ Schilderungen zeigen, wie viele Versuche nötig sein können, um Pilze zu kultivieren oder sie an ungewöhnliche Nahrung wie fossilen Diesel zu gewöhnen. Das Buch hilft also Praktikerinnen und Praktikern, die Pilze züchten wollen, bietet aber auch jedem wissenschaftlich Interessierten viele Informationen.
Eine spezielle Art von Pilzen hat es dem Autor besonders angetan: psychedelische Pilze, die Psilocybin enthalten. Stamets empfiehlt sie zwar nicht gerade der Allgemeinheit. Seiner Meinung nach können sie aber »hilfreich sein, um die Produktivität von Künstlern, Philosophen, Theologen, Mathematikern, Physikern, Astronomen, Programmierern, Psychologen und anderen Kreativen zu fördern«. Natürlich vergisst er nicht, darauf hinzuweisen, dass mit Blick auf diese Droge die jeweils geltenden Gesetze zu beachten sind.
Der Verlag schreibt, dass er für die deutschsprachige Ausgabe gegenüber dem Original von 2005 (»Mycelium Running«) keine inhaltlichen Änderungen vorgenommen habe. Das ist schade, denn die Pilzforschung hat gerade in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen. Auch hätte auffallen können, dass China nicht mehr als Entwicklungsland zu bezeichnen ist. Dennoch ist Stamets‘ Buch absolut empfehlenswert. Es ist ein Muss und eine Fundgrube für alle Forschenden rund um Pilze sowie ein Lesegenuss für alle Interessierten. Es bietet viel erstaunliches Wissen und ist reich bebildert.
Eines macht das Buch ganz deutlich: Pilze werden häufig grob unterschätzt. Sicher wird mancher nach der Lektüre dieses Buchs Andrew Weil zustimmen, der in seinem Vorwort schreibt: »Pilze – von vielen missachtet, von manchen verschmäht – könnten zu einem wichtigen Schlüssel sowohl für die Gesundheit des Menschen als auch für unseren Planeten werden.«
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