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»Das ideologische Gehirn«: Von der Versteinerung des Geistes

Wir können das ideologische Denken hinter uns lassen – das ist eine der Erkenntnisse, die uns Leor Zmigrod in ihrem ebenso spannenden wie aktuellen Buch nahebringt.

Ideologie – darunter verstehen die meisten Menschen eine mehr oder weniger geschlossene Weltanschauung, die auf einem Satz von nicht hinterfragten Glaubenssätzen und Grundüberzeugungen beruht. Für Leor Zmigrod, eine junge Forscherin von der englischen University of Cambridge, die sich selbst als »politische Neurowissenschaftlerin« bezeichnet, ist Ideologie dagegen eine bestimmte Art zu denken – eine Versteinerung des Geistes, der dann seiner Überzeugung widersprechende Tatsachen nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Und dieses versteinerte Denken untersucht sie mit den Methoden von Hirnforschung und Psychologie. »Wir werden in das ideologische Gehirn hineinzoomen mit dem Mikroskop einer Wissenschaftlerin, der Sorge einer Philosophin, der Hoffnung einer Humanistin und der Empathie und Fantasie einer engagierten Bürgerin«, verspricht sie in der Einleitung.

Im Jahr 2016, kurz nach dem Brexit-Votum, machte Zmigrod ein interessantes psychologisches Experiment: Sie ließ Probandinnen und Probanden den sogenannten Wisconsin-Kartensortiertest absolvieren. Dabei werden den Teilnehmenden Spielkarten vorgelegt, die sie nach einem nicht ausgesprochenen Kriterium sortieren sollen. Die Karten zeigen zum Beispiel einen roten Kreis oder drei blaue Dreiecke, und die Regel kann lauten, dass sie nach der Farbe sortiert werden müssen. Oder nach der Form. Menschen sind gut darin, solche Muster zu lernen. Die Stolperfalle dabei: Nach einiger Zeit ändert sich die Regel, und die Probanden bekommen das Signal: »Falsch getippt!«

Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf die neue Regel: Manche passen ihr Verhalten schnell an, andere widersetzen sich der Veränderung und folgen weiterhin der alten Regel, auch wenn sie jedes Mal das Signal »falsch« bekommen.

Die Macht des Mindsets

Dann fragte Zmigrod die Testpersonen, wie sie beim Brexit-Votum abgestimmt hätten – und fand einen eindeutigen Zusammenhang: Diejenigen, die für den EU-Ausstieg waren, kamen schlechter mit der veränderten Situation zurecht, waren kognitiv starrer. Ein völlig unpolitischer Test sagte besser als jede Meinungsumfrage voraus, wie die Menschen sich in der Abstimmung verhalten hatten.

Das wirft natürlich eine Menge Fragen auf. Ist dieses starre, Leor Zmigrod sagt: ideologische Denken fest in unserem Gehirn verdrahtet, werden wir gar mit ihm geboren? Zwar zeigen Zwillingsstudien, dass diese Eigenschaft tatsächlich einen genetisch vererbten Anteil hat, aber die Autorin hütet sich vor einem platten Determinismus. Niemand muss zur Ideologin oder zum Ideologen werden. Und wer zum Beispiel in einer dogmatischen Sekte gefangen ist, der kann sich auch wieder daraus befreien – ehemalige Anhänger von destruktiven Kulten gehören laut Zmigrod zu den freiesten und flexibelsten Denkern.

Die Autorin hütet sich, »gute« von »schlechten« Ideologien zu unterscheiden. »Jede Weltanschauung kann, ins Extrem getrieben, dogmatisch werden«, schreibt sie, »jede Art von kulturellem Narrativ, das die Welt erklären will, kann ins Totalitäre kippen.« Das werden natürlich einige nicht gern hören, und in ihrem Epilog lässt Leor Zmigrod auf charmante Art Kritiker in fiktiven Dialogen ihre Einwände formulieren. Da tritt Karl Marx auf und sagt: »Ich habe schon über die ideologischen Gespenster des menschlichen Gehirns geschrieben, als die Erfindung dieser neurobildgebenden Technologien noch in weiter Ferne lag.« Er vermisst aber den Klassenstandpunkt. Hannah Arendt will wissen: »Wie soll eine kognitive und biologische Perspektive uns dabei helfen, das radikale oder extreme Böse zu erkennen?«

Auf all diese Einwände hat Zmigrod gute Antworten. Und dann möchte ein junger Aktivist (oder eine Aktivistin, das Geschlecht wird nicht genannt) wissen, ob man ohne ideologische Überzeugungen denn überhaupt für Veränderung und Fortschritt kämpfen könne. »Könnte man sagen, dass Sie zu Genügsamkeit und Mäßigung aufrufen?«

Im Gegenteil, sagt Leor Zmigrod. Es gehe nicht um das Gleiten zur Mitte hin. Sondern darum, ein Leben zu führen, »das aktiv und kreativ den Versuchungen von Dogma widersteht«.

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