»Das Kraken-Tagebuch«: Krake an Land
»Die Menschen haben im Verlauf ihrer nicht allzu langen Existenz auf dem Planeten Erde die Ozeane und Meere in Müllhalden verwandelt«, heißt es im Klappentext von »Das Kraken-Tagebuch«. Fast unweigerlich erwartet man einen erhobenen Zeigefinger, der die jungen Leserinnen und Leser des Buchs zum verantwortungsvollen Umgang mit unserer Umwelt anhalten will. Doch Moralpredigten führen bekanntlich selten zur Einsicht. Und so wählt Magdalena Rutová einen ganz anderen Weg: Sie bringt Kinder ab sechs Jahren (aber auch Erwachsene!) zum Staunen über uns Menschen – unsere Kreativität, unseren Forschergeist und all das, was wir erschaffen haben.
Das gelingt der Autorin und Illustratorin – die für dieses Buch den tschechischen Kinder- und Jugendbuchpreis »Zlatá stuha« (»Goldenes Band«) erhielt – indem sie einen Perspektivwechsel vollzieht: Sie erzählt aus Sicht einer Krake, deren acht Tentakel jeweils ein eigenes Gehirn beherbergen – »vielleicht sogar zwei«, wie die Protagonistin betont.
Beeindruckt von den menschlichen Erfindungen, die ein kurioses Museum aus Müll auf dem Meeresboden geformt haben, beschließt der intelligente Kopffüßer, diese wundersame Welt zu besuchen. Die Krake will herausfinden: Was wollen uns die Menschen mit all diesen Gegenständen sagen? Als sie erstmals Festland betritt, muss sie feststellen: Noch nie in ihrem Leben hat sie etwas so Schönes gesehen – »so schön, dass ihr »die Tentakel kribbeln«. Sie probiert Thunfisch-Avocado-Toast, baut sich ein Schloss und landet auf dem Titelblatt der Zeitung; sie geht in den Zoo und aufs Konzert von »Big Bob«, wird Zeuge eines Banküberfalls und lernt dort den Bankdirektor kennen (»der langweiligste Mensch, den ich getroffen habe«).
Die Geschichte ist durchzogen von feinem Humor, sie sprüht vor Fantasie und pulsiert vor einer unverstellten Begeisterung für die Welt, wie sie wohl nur Kinder (und Kraken) empfinden können. Und sie erzählt von Freundschaft: Am Meeresboden, so die Krake, »beschäftigt dich vor allem die Frage, wer wen auffrisst«. An Land erlebt sie eine besondere Nähe, wie sie ansonsten wohl nur uns Menschen vorbehalten ist – weil unsere Lebensbedingungen und unser kulturelles Umfeld Verbindungen dieser Art überhaupt erst ermöglichen.
Indem Rutová uns die Welt durch Krakenaugen betrachten lässt, eröffnet sie Räume für ein echtes Nachdenken über unser Verhalten. Eine empfehlenswerte Liebeserklärung an einen einzigartigen Planeten, der es wert ist, bewahrt zu werden.
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