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Ein Leben auf der Suche nach Freiheit

In seiner Biografie zeigt Alois Prinz, dass Simone de Beauvoir nicht nur Großes gedacht, sondern ihre Gedanken auch gelebt hat.

»Ich möchte vom Leben alles, ich möchte Frau, aber auch Mann sein, viele Freunde haben und allein sein, viel arbeiten und gute Bücher schreiben, aber auch reisen und mich vergnügen, egoistisch und nicht egoistisch sein … Sehen Sie, es ist nicht leicht, alles, was ich möchte, zu bekommen. Und wenn es mir nicht gelingt, werde ich wahnsinnig vor Zorn …« Es sind solche intimen Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt der französischen Ikone des Feminismus, die die Biografie von Alois Prinz so lesenswert machen.

Von Reisen und Romanzen

Beauvoirs Leben zu Papier zu bringen, ist wohl Geschenk und Grauen zugleich, schließlich gehören ihre Schriften zu den »umfangreichsten individuellen Lebensdokumentation des 20. Jahrhunderts«, wie die Literaturkritikerin Iris Radisch schreibt. Prinz wühlte sich dementsprechend durch Berge von Tagebucheinträgen, Briefen, autofiktionalen Romanen und nicht zuletzt die Memoiren der schreibversessenen Denkerin. Das Ergebnis: knapp 270 Seiten, gefüllt mit dem bunten Leben von Beauvoir. Dabei lässt der Literaturwissenschaftler immer wieder ihre philosophische Arbeit mit einfließen und erklärt diese verständlich. Zum Großteil besteht das Buch aber aus den Reisen und Romanzen der Literatin, Philosophin und Aktivistin.

Geboren wird Simone de Beauvoir am 9. Januar 1908 in Paris. Wie das »de« in ihrem Nachnamen verrät, entstammt die Familie dem niederen Adel, und so bekommt Simone eigentlich ein aristokratisches Leben in die Wiege gelegt. Doch die finanzielle Situation ihres Vaters verschlechtert sich. Simone und ihre Schwester müssen einen »Brotberuf« erlernen, denn außer einem erhabenen Namen kann die Familie zu einer Heirat nichts beisteuern.

Die Klassenbeste beschließt, Philosophielehrerin zu werden. Dafür studiert sie an der renommierten Sorbonne Université in Paris. Schnell bewegt sie sich in einem Kreis von Intellektuellen, von denen sich viele einen Namen machen werden. Eine enge Freundschaft verbindet sie mit dem später einflussreichen Phänomenologen Maurice Merleau-Ponty. Über ihn lernt sie auch Jean-Paul Sartre kennen. Sartre, komisch-kauzig, aber trotzdem Frauenheld, und Beauvoir verlieben sich ineinander und gehen bald ihren legendären »Pakt« ein: Sie wollen »eine offene Beziehung führen, ohne Zwang und ohne Gewohnheit, mit der Möglichkeit, auch mit anderen Frauen und Männern Liebschaften einzugehen. Ihre tiefe Verbindung soll dadurch nie gefährdet sein, und dazu gehört, einander immer alles zu sagen.«

Ein unerschütterlicher Pakt

Alois Prinz zeichnet die knapp 50 Jahre währende Beziehung des skandalisierten Liebespaars nach. Er erzählt von den berührenden Liebesbekenntnissen, den zahllosen gemeinsamen Reisen, dem intellektuellen Austausch, aber auch von dem großen Schmerz und der immer wieder aufkommenden Eifersucht. Und schließlich, was das Beziehungskonstrukt mit denen machte, die zwar eine innige Beziehung mit Sartre oder Beauvoir führen, aber nie an deren Pakt rütteln konnten, obwohl sie sich das gewünscht hätten.

Oft trifft sich die High Society der Pariser Philosophie- und Kunstszene im Café des Flores: neben Beauvoir und Sartre auch Merleau-Ponty und die Autoren Paul Nizan und Albert Camus. Beauvoir, Sartre und Camus gelten als Wegbereiter und Hauptvertreter des Existenzialismus. Als Gegenentwurf zu einem vorbestimmten Leben betonen sie die Freiheit. Man wird nicht mit einem vorgeschnürten Paket Sinnhaftigkeit in die Welt »geworfen«, sondern muss sich eigene Werte schaffen. Jeder entscheidet selbst, wie er oder sie den eigenen Weg gestaltet.

Wie sehr Beauvoir diese Freiheit verinnerlicht hat, illustriert ihr Biograf mit eindrucksvollen Beschreibungen ihrer draufgängerischen Ausflüge. Sie selbst schreibt vom »Dämon des Abenteuers«, der sie immer wieder packt und nicht selten in bedrohliche Situationen führt. Einmal zieht sie sich in der Sommerhitze Verbrennungen ersten Grades zu und muss von der Bergwacht aus den Walliser Alpen gerettet werden. Existenzialistin zu sein, ist für Beauvoir eben keine lebensferne Philosophie, sondern immer auch »politische Einstellung und Lebensform«.

»Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es«

Das spiegelt sich auch in ihrem wohl einflussreichsten Werk »Das andere Geschlecht« wider. Die berühmte Formel »Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es« ist im Kern eine existenzialistische Sichtweise, mit der die immer wieder auch als Aktivistin auftretende Beauvoir die zweite Welle des Feminismus prägte. Oft warfen ihr Diskussionspartner vor, etwas nur deshalb zu denken oder zu fühlen, weil sie eine Frau sei. Dass so etwas umgekehrt aber nie behauptet wurde, trug zu ihrer Auffassung bei: »Was ein Mann ist, versteht sich von selbst. Was eine Frau ist, in Bezug auf den Mann.«

Einziges Manko der Biografie ist, dass der Literaturwissenschaftler nicht ausreichend einordnet, welche Bedeutung »Das andere Geschlecht« historisch und für Beauvoir persönlich hatte. Er bespricht ihr meistverkauftes Buch auf verhältnismäßig wenigen Seiten. Vielleicht hatte Prinz aber auch keine andere Wahl. Das Leben der französischen Feministin war so dicht, turbulent und detailliert dokumentiert, dass es sich schwer von allen Seiten beleuchten lässt. Eine große Ikone, wie Beauvoir es war, wirft eben auch einen langen Schatten. Das Wichtigste gelingt dem Biografen dennoch: Er zeigt, dass Leben und Werk der Simone de Beauvoir untrennbar miteinander verwoben sind und wie beides auseinander hervorgeht.

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