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Nie mehr Frösche auf Leitern

27. Juli 2016, 14.30 Uhr, Bonn. Vor einem blauen Himmel stehen in 1200 Meter Höhe vereinzelt Kumuluswolken und darüber, mehr als 10000 Meter hoch, einige faserartige Zirruswolken – ein schöner Tag zum Radfahren. Doch langsam verändert sich das Wetter. Westliche Strömung zwischen einem Azorenhoch und einem Nordseetief führt Haufenschichtwolken und Regen heran. Bis zum Abend wird die herannahende Warm- von einer direkt folgenden Kaltfront eingeholt, beide werden sich vereinigen und es dürfte regnen. Morgen ist kein guter Tag zum Radfahren.

Informationen wie diese bekommen wir heute ganz leicht. Ein Blick auf die Wetterkarte zeigt uns das meteorologische Geschehen in aller Welt, vom Smartphone aus greifen wir quasi in Echtzeit auf das Regenradar zu und wissen, wann wir trockenen Fußes nach Hause kommen. Und vor allem: Schon am Mittwoch wissen wir mit einiger Sicherheit, wie das Wetter am Wochenende sein wird, und können uns darauf einstellen.

Kräht der Hahn auf dem Mist...

Noch vor zweihundert Jahren konnten die Menschen davon nur träumen. Eine Vorstellung von den Naturgesetzen, die das Wettergeschehen bestimmen, hatte man nicht. Die Vorgänge in der Atmosphäre waren ein Buch mit sieben Siegeln, und Wissenschaftlern, die das künftige Wetter vorhersagten, schenkte man selten Glauben. Erst im Lauf des 19. Jahrhunderts änderte sich dies.

In seinem Buch "Das Wetter-Experiment" beschreibt der Historiker Peter Moore den langen Weg von den frühesten, noch unsystematischen Wetteraufzeichnungen im späten 18. Jahrhundert bis zur ersten Wettervorhersage in der britischen Zeitung "Times" im August 1861. Es ist spannend zu erfahren, wie die damaligen Wissenschaftler um die korrekte Deutung ihrer Beobachtungen rangen, während sich die Meteorologie als handfeste, akzeptierte Wissenschaft etablierte. Moore erzählt diese Geschichte anhand ihrer wichtigsten Akteure ausgesprochen lebendig, so dass sich das Werk wie ein Wissenschaftskrimi liest. Als Leser folgt man etwa dem britischen Marineoffizier Robert FitzRoy, der mit der »HMS Beagle« – jenem Schiff, auf dem auch Charles Darwin reiste – durch die stürmische Magellanstraße und um den Globus segelte. Man lernt, wie der britische Hydrograf Francis Beaufort, nach dem später die Windstärkenskala benannt wurde, zum Ausbau des Telegrafennetzes beitrug. Und man nimmt teil an dem Streit der amerikanischen Meteorologen James Espy und William Redfield darüber, wie großräumige Luftzirkulationen korrekt zu deuten seien.

Im Fahrwasser des Erkenntnisgewinns

Im positiven Sinn greift der Titel des Buchs fast zu kurz, denn die Entwicklung der Wetterkunde lässt sich kaum begreifen, ohne die technischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritte des 19. Jahrhunderts zu kennen. Der Autor stellt sie anschaulich dar. Ohne die elektrische Telegrafie etwa wären Wettermeldungen aus entlegenen Regionen nicht denkbar gewesen. Auch die Erfindung der Eisenbahn beschleunigte den Fortschritt enorm. Wissenschaftliche Gesellschaften wurden gegründet, erleichterten den Gedankenaustausch der Forscher und befruchteten das allgemeine Interesse an den Wissenschaften.

Moore schildert bahnbrechende Entdeckungsfahrten zur See ebenso wie spektakuläre Reisen in eine seinerzeit neue Dimension – mit Gasballons in den Himmel nämlich, um die Atmosphäre in nie zuvor erreichten Höhen und mit neuen Messgeräten zu untersuchen. Beispielsweise stieg der englische Aeronaut und Meteorologe James Glaisher gemeinsam mit dem Ballonfahrer Henry Coxwell im Jahr 1862 fast 9 Kilometer hoch auf – weitgehend ahnungslos, welche körperlichen Belastungen dies mit sich bringen würde, aber penibel Luftdruck, Temperatur und Luftfeuchte dokumentierend. Eine Reise, die beide wegen des Sauerstoffmangels in dieser Höhe und technischer Probleme fast mit dem Leben bezahlt hätten.

Insgesamt ist Moores Buch ausgesprochen lesenswert – inhaltlich ohnehin, aber auch auf Grund eines sehr gut gelungenen Aufbaus und guten Schreibstils. Ergänzt wird das Werk durch kurze Biographien der wesentlichen Akteure, Quellenverzeichnis und ein Personen-, Orts- und Instrumenteregister.

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