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Zwischen Licht und Schatten

Der Historiker und Journalist Wolfgang Niess reflektiert den 9. November in all seiner historischen Ambivalenz – und in seiner Bedeutung für die demokratische Entwicklung Deutschlands.

Es gibt historische Daten, die in der Geschichts- und Erinnerungskultur von Staaten einen hohen Symbolgehalt haben. Für die neuere deutsche Geschichte markiert der 9. November ein solches Datum, an dem sich gleich mehrere Schlüsselereignisse – glückliche wie tragische – wie in einem Brennglas verdichten, wie es der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble am 9. November 2018 in seiner Begrüßungsansprache vor dem Deutschen Bundestag ausdrückte.

Schicksalsreiches Datum

Wolfgang Niess, promovierter Historiker und jahrelang Redakteur beim SWR Fernsehen, beschreibt, was an jenen Tagen genau geschah, und nennt die historischen Linien, die sich von diesem Datum durch die deutsche Geschichte ziehen lassen. Er erinnert an den 9. November 1848, an dem in Wien der Paulskirchenabgeordnete Robert Blum als Mitglied der deutschen Nationalversammlung erschossen wurde – aus Angst vor dem Versuch des Volkes, Einheit und Freiheit der Nation zu erzwingen.

Er nennt die Ausrufung der ersten Deutschen Republik 1918 durch den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann und den auf den Tag genau fünf Jahre später in München gescheiterten antidemokratischen Hitler-Ludendorff-Putsch, der die verhasste Revolution von 1918 beenden sollte. Der Autor beschreibt das ebenfalls gescheiterte Attentat Georg Elsers auf Adolf Hitler in der Nacht vom 8. auf den 9. November 1939 und ruft mit dem 9. November 1938, als deutschlandweit viele jüdische Synagogen in Flammen aufgingen, jüdische Geschäfte demoliert und jüdische Mitbürger von den Nationalsozialisten öffentlich misshandelt und gedemütigt wurden, eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte wach.

Wurde der 9. November mit der Reichspogromnacht zum Synonym für Barbarei und Unmenschlichkeit, avancierte der 9. November 1989 zum Tag der menschlichen Vernunft, an dem Bürgerinnen und Bürger der DDR in einer friedlichen Revolution die Öffnung der Berliner Mauer erzwangen, den Kalten Krieg beendeten und die Wiedervereinigung Deutschlands einleiteten.

All diese Tage und deren Erinnerungspotenzial beschreibt Niess souverän. Klar und verständlich erläutert er Vorgeschichte und Verlauf der Ereignisse, erklärt die historischen Zusammenhänge und zeigt auf, welche Lehren sich aus der Erinnerung daran für die Zukunft ziehen lassen.

Er fragt, wie es sein konnte, dass dasselbe Volk, das am 9. November 1918 den Aufbruch in demokratische Selbstbestimmung wagte, in weniger als 20 Jahren in demokratischen Wahlen den Demokratiefeinden zur Mehrheit verhalf, seine europäischen Nachbarn mit Krieg und Vernichtung überzog und wegschaute, wie ein verbrecherisches System jüdische Familien in Viehwagen pferchte und Eltern samt ihren Kindern in Gaskammern schickte.

Niess beschreibt den 9. November als einen Tag, der zu Mahnung, Erinnerung und Orientierung gleichermaßen auffordert, der aber auch gerade wegen seiner Vielschichtigkeit eine gute Möglichkeit bietet, das Spannungsverhältnis zwischen Demokratien und Diktaturen am deutschen Beispiel nicht nur sichtbar, sondern auch für die öffentliche Erinnerung fruchtbar zu machen. Damit hat Niess ein lehrreiches Buch geschaffen, das in keiner Schulbibliothek fehlen sollte.

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