»Der ADHS Survival Guide«: Gummienten gegen das innere Chaos
ADHS scheint derzeit in aller Munde zu sein. Früher dachte man bei der »Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung«, wie sie ausgeschrieben heißt, vor allem an hibbelige Schuljungen. Inzwischen bemühen sich immer mehr erwachsene Frauen und Männer um eine Diagnose. Doch die Wartezeiten für eine klinische Abklärung sind lang. Außerdem nehmen einem die gängigen Medikamente wie Methylphenidat (»Ritalin«) nicht das Problem ab, seinen Alltag sinnvoll zu strukturieren. Genau hier setzt der vorliegende »Überlebensratgeber« an. Der Autor Jesse J. Anderson, im Alter von 36 selbst mit ADHS diagnostiziert, gibt unterhaltsame Tipps, wie ein gutes Leben mit dieser Störung gelingen kann.
Dafür bespricht er die üblichen Baustellen, die als »typisch ADHS« gelten: Wie raffe ich mich auf zu Haushaltsputz und drögen Büroarbeiten? Was tun, um nicht bei jedem Termin eine halbe Stunde zu spät aufzukreuzen? Und wie schaffe ich es, mich von plötzlichen Gefühlsausbrüchen nicht überwältigen zu lassen? Die Ratschläge sind alltagsnah, leicht anzuwenden und oft überraschend lustig: Wer im täglichen Aufgabenchaos schnell den Überblick verliert, dem hilft ein Quietscheentchen neben dem Laptop. Ein scheinbar unlösbares Problem soll man zuerst mit dem Spielzeugtier diskutieren. Einmal klar formuliert, erscheinen die Schwierigkeiten schon etwas kleiner. Ein weiterer gängiger Tipp findet bei Anderson keinen Anklang: Mit der lästigsten Aufgabe des Tages beginnen, um sie hinter sich zu haben. Keine gute Idee, meint der Autor. Statt zuerst die größte Kröte zu schlucken, rät er zum Gegenteil: »Iss zuerst das Eis!«. Das soll für mehr Schwung für den Rest des Tages sorgen.
Keine Wunder
Das Buch besticht durch seinen leichtfüßigen Stil und die klare, packende Sprache. Trotzdem sollte man von den Tipps keine Wunder erwarten: Zwar betont Anderson immer wieder, Menschen mit ADHS würden grundsätzlich anders ticken, hätten andere Gehirne als der »neurotypische« Durchschnittsmensch und bräuchten deshalb andere Strategien für ihren Alltag. Ein Großteil der Tipps ähnelt aber dem, was man auch in den üblichen Produktivitätsratgebern für Menschen ohne ADHS nachlesen kann: Aufgaben nach Dringlichkeit sortieren, große Vorhaben in realistische Portionen stückeln, auch kleine Erfolge feiern und Ähnliches. Ob Andersons Ratschläge wirklich spezifisch für Menschen mit ADHS sind, ist also fraglich.
Die im Buch erwähnten Herausforderungen dürften wohl viele Menschen kennen, die in ihrem Alltag viele Pflichten zugleich unter einen Hut bringen müssen, etwa Selbstständige, Studierende oder Büroangestellte. Der Trick mit der Ente stammt etwa ursprünglich aus der Programmiererszene. Einen Versuch wert sind die Tipps aber allemal – und das gelbe Gummitier auf dem Schreibtisch ist eine nette Erinnerung daran, seine täglichen Ärgernisse nicht allzu ernst zu nehmen.
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