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Menschenschlächter und "Reichsretter"

"Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt schwankt sein Charakterbild in der Geschichte". Schillers Worte aus dem Prolog zum "Wallenstein" beziehen sich auf den berühmtesten Feldherrn des Dreißigjährigen Kriegs, doch könnte man es ebenso gut auf Jörg Truchsess von Waldburg (1488–1531) anwenden. "Bauernschlächter" nannten ihn die einen, "Retter des Reiches" die anderen. Diese Ambivalenz hat Peter Blickle, emeritierter Professor für Neuere Geschichte an der Universität Bern, in sein ebenso spannendes wie informatives Buch einfließen lassen.

Der Übergang vom Mittelalter zur Moderne war eine Epoche geistiger und kultureller Blüte, aber auch eine Zeit erbitterter Glaubenskämpfe, in der marodierende Landsknechtheere, angeführt von brutalen Warlords, halb Europa mit Krieg überzogen. In dieses turbulente Umfeld hinein wurde Jörg Truchsess von Waldburg 1488 geboren, als Spross einer Adelsfamilie, die dem staufischen Ministerialengeschlecht entstammte. Ehr- und Standesbewusstsein wurden ihm frühzeitig vermittelt, ebenso die Kriegskunst, die er von der Pike auf lernte. Nachdem er zum oberschwäbischen Landesherrn aufgestiegen war, gebot er über zahlreiche leibeigene Untertanen.

Dämmerstunde des Adels

Klarer als die meisten seiner Standesgenossen erkannte von Waldburg die Zeichen der Zeit. Da die Erlöse aus der Grundherrschaft kaum mehr ausreichten, um einen adligen Lebenswandel zu finanzieren, verlegte er sich auf das Kriegshandwerk. Die damals vielfach bezeugte "Feldsucht", die Lust am Töten, Brennen und Plündern, fiel bei ihm zusammen mit ausgeprägtem Geschäftssinn. Als Söldnerführer stand der Oberschwabe ab 1510 bei diversen Fürsten unter Vertrag. Er wechselte des Öfteren nicht nur den Kriegsschauplatz, sondern auch den Auftraggeber.

Seine große Stunde schlug 1525, als die Bauern Südwestdeutschlands im Zeichen des "Bundschuh" gegen ihre adligen Grundherren aufbegehrten, von Armut, Frondiensten und Abgaben bedrückt und von reformatorischen Predigern ermutigt. Die Aufsässigen zerstörten Burgen und plünderten Klöster, wobei sie ihr Tun mit dem Evangelium rechtfertigten, in dessen Namen sie die Abschaffung der Leibeigenschaft verlangten. Um den Aufstand niederzuschlagen, traf Erzherzog Ferdinand von Österreich im Jahr 1524 die Entscheidung, von Waldburg zum obersten Feldhauptmann des "Schwäbischen Bundes" zu ernennen. Das war ein genossenschaftlicher Zusammenschluss der schwäbischen Reichsstände, der 1488 auf Betreiben des Kaisers gegründet worden war, um den Landfrieden zu erhalten.

Wie Blickle in seinem Buch beschreibt, erwies sich von Waldburg als abgebrühter, anpassungsfähiger und charismatischer Anführer, der sein Heer ebenso geschickt zu dirigieren wie den politischen Gegner ins Unrecht zu setzen wusste. Die Forderung der Bauern lehnte er als Landfriedensbruch ab und wertete sie als Affront gegen die gottgewollte Obrigkeit, wie übrigens auch Martin Luther (1483-1546). Seinen Landsknechten verkaufte er den Waffengang gegen die Bauern als "Feldzug gegen den Teufel", und rechtfertigte so sein kriegerisches Vorgehen.

Die üblichen Grausamkeiten

Von Waldburg, der fortan den Spitznamen "Bauernjörg" trug, erfüllte seinen Auftrag pflichtgemäß, aber wenig ritterlich. In dem ungleichen Kampf der gut gerüsteten und gedrillten Landsknechte des Adels gegen die bäuerlichen "Haufen" hatten letztere nicht die Spur einer Chance. Skrupellos und grausam ging der "Bauernjörg" gegen seine Feinde vor, ließ Widerstandsnester einäschern und Gefangene bei lebendigem Leib verbrennen, rädern und vierteilen. Die Bluttat war seiner Karriere förderlich, zahlte sich Loyalität doch gerade in diesen unruhigen Zeiten aus, vorausgesetzt, man gewährte sie dem Richtigen. Zum Dank für seine "Verdienste" im Kampf gegen die Rebellen betraute der Kaiser den "Retter des Reiches" mit Aufgaben im diplomatischen Reichsdienst.

Peter Blickle ist ein sehr zu empfehlendes Buch gelungen. Meisterhaft versteht er es, die historischen und sozialen Gegebenheiten des frühen 16. Jahrhunderts in die Biografie seines Protagonisten einzubetten und diesen als Kind seiner Zeit anschaulich, nüchtern und vorurteilsfrei darzustellen.

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