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»Der elektronische Spiegel«: Natürliche und künstliche Intelligenz - wie sie einander bereichern

Ein informatives Buch über den aktuellen Stand der KI – und wie sie dazu beiträgt, auch menschliche Intelligenz besser zu verstehen.
Ein Gehirn mit vielen bunten Farbkleksen

Mit der Markteinführung des Dialogsystems ChatGPT der Firma OpenAI entdeckten die Medien das Thema künstliche Intelligenz (KI). Ihre Veröffentlichungen reichten von sachlicher Information bis hin zur Darstellung dystopischer Szenarien. Wer sich ein eigenes Bild über aktuelle Möglichkeiten und Grenzen der KI machen will, dem bietet die Wissenschaftsjournalistin und Philosophin Manuela Lenzen Orientierung. In ihrem Buch »Der elektronische Spiegel« geht es um Fragen wie: Was ist Intelligenz, was unterscheidet die menschliche und die tierische von der künstlichen Intelligenz, und wie wird Intelligenz in KI-Systemen abgebildet? Mit dieser mehr geisteswissenschaftlich geprägten Herangehensweise ist das Buch auch für nicht IT-affine Leser geeignet.

Ausführlich werden im Buch interdisziplinäre Ansätze aus Fachgebieten wie Kognitionswissenschaft, Entwicklungspsychologie, Neurowissenschaft, Biologie und natürlich Informatik vorgestellt. Die Autorin erzählt von spannenden Versuchen, zum Beispiel, wie die Aufgabe, eine verschlossene Kiste zu öffnen, von Kakadus und Robotern gelöst wird. Wissenschaftliche Studien könnten nicht nur Antworten geben, wie KI-Systeme zu entwerfen sind, sondern auch dafür sensibilisieren, wie Menschen und Tiere die Welt wahrnehmen.

Die Autorin macht immer wieder deutlich, dass KI heute in vielen Bereichen über die Grundlagenforschung nicht hinausgekommen ist. Die Anforderungen, die KI-Systeme nicht erfüllen können, sind komplexe menschliche Fähigkeiten, wie Motivation, Flexibilität, Erkenntnisinteresse oder interessengeleitetes Handeln. Damit entkräftet Lenzen dystopische Szenarien, dass die Übernahme der Herrschaft über die Welt durch die KI bevorstehe.

Ein weiteres Augenmerk richtet Lenzen auf die Frage, ob KI eine Nachahmung menschlicher Intelligenz sein müsse oder ob mittels alternativer Intelligenz lernende Systeme für Problemlösungen entwickelt würden, ohne die Nachbildung menschliche Intelligenz anzustreben. Als Beispiel für alternative Intelligenz erklärt die Verfasserin die wesentlichen Prinzipien der großen Sprachmodelle (Large Language Model – LLM), die auch für ChatGPT (Generative Pre-trained Transformer) gelten. Und Lenzen kommt zu dem Schluss, dass diese Sprachmodelle oft die passenden Antworten generieren; wenn sie aber herausgefordert werden, keine passenden Lösungen finden oder Unsinn produzieren.

Auch kritischen Fragen weicht Lenzen nicht aus und diskutiert Chancen und Risiken von KI-Systemen. Für einen ethisch vertretbaren Einsatz, der die Reproduktion bestehender Muster und Einseitigkeiten vermeidet, sei ein qualitätsgesichertes Training der Systeme nötig. Nur wenn Menschen die Systeme trainieren, lerne ein Programm, keine unangemessenen Inhalte zu verwenden oder keine einseitigen Entscheidungen zu treffen (Reinforcement Learning from Human Feedback – RLHF).

Leider thematisiert Lenzen nicht, welche Aspekte des Datenschutzes bei der Auswahl von Trainingsdaten eine Rolle spielen müssten.

Da »Der elektronische Spiegel« keinen wissenschaftlichen Anspruch hat, kann man es der Autorin nachsehen, dass wenig Quellennachweise vorhanden sind. Trotzdem wären mehr Referenzen für die Nachvollziehbarkeit wünschenswert. Zum Beispiel im Kapitel »Raus aus dem goldenen Käfig«, in dem Lenzen Benchmarks für Bilderkennungssysteme und Sprachverarbeitung beschreibt und folgert: »Ein Drittel der Benchmarks, so haben Forschende gefunden, wird überhaupt nicht verwendet, zum Teil werden die Systeme so schnell besser, dass sie die Benchmarks überholen, zum Teil sind diese nicht mehr aktuell, weil inzwischen andere Fähigkeiten gefragt sind, als sie testen können.« Lenzen erklärt nicht, um welche Benchmarks und um welche Studie es sich handelt.

Das in leicht verständlicher Sprache geschriebene Buch ist eine anregende und informative Lektüre, die hilft, den aktuellen Status der KI einzuordnen. Es bietet einen guten Einstieg, um sich intensiver mit künstlicher Intelligenz zu beschäftigen. Darüber hinaus kann das Interesse geweckt werden, sich näher mit der vielfältigen Forschung zu Intelligenz zu beschäftigen.

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