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Moby Dicks Verwandtschaft

Biologe und Wissenschaftsjournalist Kurt de Swaaf nimmt uns in seinem neuen Buch mit in die Tiefen der Weltmeere, ins Reich des Pottwals (Physeter macrocephalus), des größten bezahnten Tiers der Welt. Anhand aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse schildert der Autor, wie die Giganten leben. Dabei kann er manch Überraschendes berichten – etwa, dass die Riesen auch vor der deutschen Partyinsel Mallorca vorkommen.

Das Besondere an dem Werk ist, dass es zwischen wissenschaftlichem Sachbuch (in serifenloser Schrift) und Pottwal-Erzählung (in Serifenschrift) hin und her wechselt. Ein gewagtes Unterfangen, das aber gelingt. Protagonist der Erzählung ist der Wal Physty, der im April 1981 vor Long Island strandete und dank menschlicher Hilfe wieder aufgepäppelt und in die Freiheit entlassen werden konnte. Das junge Männchen, das an Lungenentzündung litt, wurde acht Tage lang in einem Bootsbassin gehalten, gefüttert, mit Medikamenten behandelt und fürs Fernsehen gefilmt. Nach einer Woche hatte es sich wieder erholt. Der Autor schildert Phystys Leben von der Geburt bis zur Geschlechtsreife, wobei er den Riesen in die Tiefen der Ozeane tauchen lässt und ihm vom Pazifik bis in den hohen Norden folgt. Das Ganze schildert er aus der Sicht des Wals. So nimmt das Leben dieser Meeressäuger konkrete Gestalt an.

In die finstere, kalte Tiefe

Der wissenschaftliche Teil vermittelt vieles, was Leser mit Vorkenntnissen bereits wissen dürften. Doch vielleicht können auch sie der Zusammenstellung noch Neues entnehmen. Zum Jagen tauchen Pottwale hunderte Meter hinab, denn sie ernähren sich zum großen Teil von Tintenfischen der Tiefsee. Dort unten kämpfen sie offenbar mit Riesenkalmaren. Um sich in der lichtlosen Tiefsee zu orientieren, praktizieren die Wale eine Echoortung mit Klicklauten. Möglicherweise dient das Spermaceti-Organ in ihrem riesigen Kopf dabei der Schallbündelung.

Vor dem Abtauchen, schreibt de Swaaf, entleeren die Giganten sich an der Wasseroberfläche und erfüllen damit eine wichtige ökologische Funktion als biologische Pumpe, die Nährstoffe an die Oberfläche befördert. Die Tiere verfügen über eine hoch entwickelte Kommunikation und zeigen Ansätze kultureller Entwicklung, da sie sich nachweislich in verschiedenen "Dialekten" verständigen. Sie zeichnen sich auch durch ausgeprägtes Sozialverhalten aus: Verletzte Angehörige einer Herde werden auch bei akuter Gefahr nicht im Stich gelassen.

Allein durch den Ozean

Pottwalmännchen werden mit rund 25 Jahren geschlechtsreif, Weibchen bereits mit 7. Die Meeressäuger leben in mütterlich organisierten Familienverbänden und ziehen ihren Nachwuchs gemeinsam auf. Bullen sind besonders schwer und groß und anfangs in Junggesellengruppen unterwegs; später wandern sie als Einzelgänger weite Strecken. Die Weibchen sind weit gehend auf sich angewiesen. Pottwalkühe unterstützen sich gegenseitig bei der Betreuung des Nachwuchses. Ein Kalb wächst mit nur wenigen Geschwistern auf, falls überhaupt welche da sind. Es trinkt zwei Jahre lang Muttermilch und wird langsam abgestillt. Lediglich alle fünf Jahre bringt ein Pottwalweibchen ein Kalb zur Welt. Nicht nur darin ähneln die Meeresriesen den Elefanten.

Bis auf den Menschen haben Pottwale keine echten Feinde; nur Schwertwale (Orcas) können ihnen bisweilen gefährlich werden. Regelmäßig werden die Riesen von Schiffen überfahren, zudem verenden sie häufig an Plastikmüll, der zuhauf im Meer schwimmt und den sie fressen, da sie ihn mit Beute verwechseln. Aber Physeter macrocephalus hat es auch gelernt, sich den Menschen zunutze zu machen – als Lieferservice, der gefangene Fische am Haken bereitstellt.

Ein insgesamt sehr gelungenes Buch, das sich zügig lesen lässt und des ungewohnt samtigen Buchumschlags wegen auch haptisch ansprechend ist.

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