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Abrechnung mit dem Kurfürsten

Ein Historiker lässt nicht viel Gutes am »Großen Kurfürsten« – verengt sich dabei aber zu sehr auf dessen Persönlichkeit.

Jubiläen bringen meist neue Bücher hervor. So auch im Fall von Friedrich Wilhelm, geboren vor 400 Jahren, seit 1640 Kurfürst von Brandenburg, der als Begründer der Großmachtstellung Preußens und als »Großer Kurfürst« in die Geschichte einging.

Jürgen Luh, Historiker bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, will in seiner aktuellen Biografie das »immer noch vorherrschende, glorifizierende Bild über den Großen Kurfürsten revidieren«. Ein hoher Anspruch und im Grunde auch ein verdienstvolles Unterfangen des Preußenkenners. Allerdings ist der Mythos des Großen Kurfürsten bereits hinlänglich wissenschaftlich aufgearbeitet und entzaubert. Luhs »Neubetrachtung«, wie sie der Untertitel des Werks andeutet, erweist sich als ein in weiten Teilen missglückter Versuch, längst Bekanntes als Neuigkeit zu erklären.

Fehlender historischer Kontext

Das Buch gerät streckenweise zu einer persönlichen Abrechnung mit dem Protagonisten. Gleich zu Beginn gibt der Autor den Ton vor – mit einem vernichtenden Urteil: »Es gibt nichts, wodurch [Friedrich Wilhelm] sich besonders hervortut.« Luh schildert den brandenburgischen Kurfürsten als einen von Selbstzweifeln und Unsicherheiten geplagten, unsteten und mit hilfloser Einfalt geschlagenen Regenten, dem es an Selbstsicherheit und einer klaren politischen Strategie gemangelt habe. Dies aus den Quellen schlüssig zu belegen, vermag der Autor allerdings nicht.

Eine weitere Schwäche des Bands ist der stark verengte Fokus auf die Person Friedrich Wilhelms, ohne diese ausreichend in den historischen Kontext einzubetten. Unberücksichtigt bleiben etwa die schwierigen Zeitumstände, unter denen der erst 20-jährige Hohenzoller nach dem Tod seines Vaters am 1. Dezember 1640 Kurfürst von Brandenburg wurde: Friedrich Wilhelm erbte ein Land, das infolge des Dreißigjährigen Kriegs ruiniert, entvölkert und territorial zersplittert war; das weder eine gemeinsame Grenze noch inneren Zusammenhalt hatte.

Luh arbeitet sich regelrecht an der Persönlichkeit Friedrich Wilhelms ab und reiht eine vermeintliche Charakterschwäche an die andere. Er bezeichnet den brandenburgischen Kurfürsten als »hochgradig unzuverlässig«, da dieser mehrfach die politischen Seiten wechselte. Dass dieses Tun, bereits von den Zeitgenossen als »Wechselfieber« bezeichnet, darauf abgezielt haben könnte, im schwankenden Interessenspiel der Mächte die jeweils besten Bündnisse zwecks staatlicher Selbstbehauptung zu schließen, zieht der Autor nicht in Erwägung. Wie sonst hätte Friedrich Wilhelm agieren sollen, um nicht im Mahlstrom konkurrierender Kräfte zerrieben zu werden?

Der Autor argumentiert mit erhobenem moralischem Zeigefinger. Er kritisiert die aufwändige Hofhaltung Friedrich Wilhelms, lässt dabei jedoch außer Acht, dass höfische Repräsentation ein zeittypisches Phänomen war, dem sich Potentaten kaum entziehen konnten. Längst hat die Forschung herausgearbeitet, dass europäische Barockhöfe eine ideale Bühne boten, um fürstlichen Geltungsanspruch im Konzert der Mächte manifest zu machen.

In den Kanon der Geringschätzung passt zudem, dass Luh den militärischen Erfolg des Kurfürsten bei Fehrbellin 1675 kleinzureden sucht. Für den Historiker war die Schlacht gegen die gefürchteten schwedischen Truppen »ein Gefecht von mäßiger Bedeutung«. Das mag aus Sicht einer Siegermacht des Dreißigjährigen Kriegs zutreffen – für das aufstrebende Kurfürstentum Brandenburg jedoch war der Sieg gegen Schweden, die angesehenste Militärmacht jener Zeit, ein ungeheurer Prestigegewinn und ein historischer Wendepunkt auf dem Weg zur Großmacht Brandenburg-Preußen.

Luh präsentiert alten Wein in neuen Schläuchen. Das erklärt auch den geringen historischen Erkenntnisgewinn des nicht immer einfach zu lesenden Buchs. Wer eine ausgewogene Biografie über den brandenburgischen Kurfürsten lesen will, der sollte besser zum zweibändigen, immer noch maßgeblichen Werk von Ernst Opgenoorth aus den 1970er Jahren greifen.

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