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An der Grenze der Physik

Sind Elektronen und Quarks fundamental? Was geschah am Anfang des Universums? Mit solchen Fragen befasst sich Jonathan Butterworth im vorliegenden Buch. "Mit dem Large Hadron Collider werden wir die Antwort finden", schreibt der Leiter des Fachbereichs Physik und Astronomie am University College in London. Der Large Hadron Collider (LHC) ist der weltweit leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger und befindet sich bei Genf.

Butterworth ist einer von tausenden Forschern, die am LHC experimentieren. Er war an der Suche nach dem Higgs-Boson beteiligt. Dieses Teilchen ist ein Bestandteil jenes Mechanismus, der den Elementarteilchen ihre Masse verleiht. Laut Theorie erhalten Elementarteilchen ihre Masse, indem sie mit dem allgegenwärtigen Higgs-Feld wechselwirken; das Higgs-Boson ist demnach eine Anregung des Higgs-Felds in Gestalt eines detektierbaren Teilchens.

Am Ort des Aufpralls

Um das Boson nachzuweisen, haben Forscher die Zusammenstöße von Protonen im Beschleunigerring beobachtet. Bei solchen Kollisionen entstehen viele verschiedene, oft sehr kurzlebige Teilchen, die in alle Richtungen auseinander fliegen. Indem sie die Spuren von Milliarden solcher Zusammenstöße untersuchten, konnten Wissenschaftler wie Butterworth die Existenz des Higgs belegen.

Das Standardmodell der Teilchenphysik sagt dieses Ergebnis zwar schon lange voraus. Aber jede kleine Abweichung der gemessenen Parameter von den Prognosen des Modells könnte auf eine Theorie verweisen, die über das Standardmodell hinausgeht, wie Butterworth in seinem Buch betont. Diese erweiterte Theorie könnte neue Teilchen, neue Kräfte oder zusätzliche Dimensionen beinhalten. Die am LHC gewonnenen Ergebnisse hinterfragt der Autor durchaus kritisch. Er rät zur Vorsicht bei deren Interpretation und untermauert das, indem er auf die vermeintliche Beobachtung überlichtschneller Neutrinos im Jahr 2011 verweist, die sich später als Messfehler herausstellte. Anhand solcher Beispiele gelingt es ihm, die Probleme der Grundlagenforschung zu umreißen. In zahlreichen Exkursionen erklärt er die Natur von Feldern und Quanten, um den Lesern ein Verständnis davon zu vermitteln.

Für die Lektüre ist es nützlich, aber nicht unerlässlich, Vorkenntnisse in Teilchenphysik und insbesondere zum Standardmodell zu haben, um den teils recht komplexen Ausführungen folgen zu können. Auch einen Ausflug in die allgemeine Relativitätstheorie unternimmt der Autor. Wiederholt lockert er den Stoff mit biografischen Elementen auf. Zudem weist er seine Leser auf komplizierte Buchabschnitte hin, die man gegebenenfalls überspringen kann, ohne den Faden zu verlieren. Mit zahlreichen Querverweisen und Fußnoten verleiht er seinem Werk ein solides wissenschaftliches Fundament.

Kurz nach dem Anfang von allem

Mit der Entdeckung des Higgs hat das Standardmodell der Teilchen neuen Auftrieb bekommen, wie Butterworth darlegt. Damit ließen sich Vorhersagen über die Physik bei sehr hohen Energien treffen und so beispielsweise Erkenntnisse über die Frühzeit des Universums gewinnen. Der LHC gewähre somit Einblicke in die physikalischen Vorgänge unmittelbar nach dem Urknall. Der Autor befasst sich allerdings auch mit der Sinnhaftigkeit und der immer wieder öffentlich vorgebrachten Kritik am Betrieb des LHC, und bringt Argumente für das Beschleunigerprojekt vor. An mehreren Beispielen zeigt er, wie die Gesellschaft von angewandten Erkenntnissen aus der Physik profitieren kann, etwa bei neuen Verfahren der Strahlentherapie.

Am Ende seines Buchs wagt Butterworth einen Ausblick in die Zukunft der physikalischen Forschung und speziell der Teilchenbeschleuniger. Sein Werk ist trotz hohen inhaltlichen Anspruchs nicht nur für Physiker empfehlenswert. Es bietet einen hervorragenden Einblick in die Welt der subatomaren Teilchen und in den Wissenschaftsbetrieb am LHC.

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