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Spuren der Menschwerdung

Der Psychologe Rolf Oerter befasst sich im vorliegenden Buch mit dem Thema Menschwerdung. Er versucht, die verschiedenen Sichtweisen von Evolutionsbiologen, Psychologen, Soziologen und Kulturwissenschaftlern unter einen Hut zu bringen und deren gegenseitige Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Oerter möchte Evolution, Kultur und Individualentwicklung im Zusammenspiel darstellen. Schritt für Schritt entwickelt er sein "EKO-Modell" (die Buchstaben stehen für Evolution, Kultur und Ontogenese), wobei er klarmacht, dass Kultur von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil der Menschenevolution gewesen sei.

Im vorderen Teil des Buchs unternimmt der Autor einen Streifzug durch die Stammesgeschichte des Menschen. Anschließend erörtert er, wie diese mit Kultur zusammenhängt und wie man aus dieser Wechselwirkung, aus unserer individuellen Entwicklung sowie aus dem Zufall heraus unsere Handlungen und Erfahrungen erklären kann.

Der Mensch: nicht das Maß der Dinge

Die Leser erfahren unter anderem, warum Spiel, Ästhetik, Religion, Kreativität, Bewusstsein und Willensfreiheit nicht nur das Individuum beeinflussen, sondern die Kulturen ganzer Gesellschaften prägen können. Laut Oerter ist der Mensch, obwohl vermutlich das komplexeste Lebewesen, in der Ethik nicht das Maß aller Dinge. Dies zeige sich in Überbevölkerung, anthropogenem Klimawandel und Ressourcenausbeutung. Der Autor macht Vorschläge, wie wir die Welt, auf der wir leben, trotz alledem noch retten können. Abbildungen und Tabellen helfen, den Stoff zu durchdringen.

Oerter ist Psychologieprofessor an der Universität München, hat ein Standardlehrbuch über Entwicklungspsychologie verfasst und forscht seit vielen Jahren über kulturvergleichende Untersuchungen zum Menschenbild. Das prädestiniert ihn ausgesprochen gut dafür, ein Buch über Menschwerdung zu schreiben, wie bei der Lektüre deutlich wird. Aus molekularbiologischer Perspektive jedoch tritt er mitunter zu kurz. So geht er zwar darauf ein, dass die Ausprägung der Erbanlagen von den Umweltbedingungen abhängt, und bringt in dem Zusammenhang den Begriff "epigenetische Effekte". Allerdings befasst er sich nicht weiter damit, was der großen Relevanz der Epigenetik unangemessen ist. Abgesehen davon, dass Laien mit diesem Begriff allein wenig anfangen können.

Für alle, die mehr wissen möchten, bieten die zahlreichen Literaturangaben eine gute Orientierung zum Weiterlesen. Geschmackssache dagegen sind die "Gespräche der Himmlischen", die jedes Kapitel zieren. Hier reflektieren die griechischen Götter Aphrodite, Dionysos, Athene und Apoll den Inhalt des jeweiligen Abschnitts und runden ihn mit eigenen Äußerungen ab. Das wirkt etwas befremdlich und passt nicht zum sonst dominierenden Lehrbuchcharakter.

Trotz dieser Mängel ist Oerter ein vielschichtiges und interessantes Werk gelungen, das besser zu verstehen hilft, wie der Mensch zu dem wurde, der er ist. Die Menschwerdung, so die Botschaft, ist ein überaus komplexer Prozess – sowohl historisch betrachtet als auch im Leben jedes Einzelnen.

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