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»Der Urknall unserer Sprache«: Woher kommt unsere Sprache?

In einer spannenden Zeitreise vollzieht Laura Spinney nach, wie indoeuropäische Sprachen sich über Jahrtausende entwickelten, wie sie aufblühten oder ausstarben.

Historie wirkt besonders fesselnd, wenn sie sinnlich erfahrbar ist. Die Pyramiden, Stonehenge oder die Tempelanlage Angkor Wat wecken unsere Neugier. Die Geschichte der Sprachen führt dagegen oft ein Schattendasein. Das zu ändern, ist das Ziel der britischen Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney, indem sie die Entfaltung unserer Sprache vermittelt.

Denn die Ausbreitung und Entwicklung der indoeuropäischen Sprachen ist eine Erfolgsgeschichte, die Aufmerksamkeit verdient – die Muttersprachen von circa drei Milliarden heute lebenden Menschen haben indoeuropäische Wurzeln. Spinney widmet sich der Entfaltung unserer Sprachen. Ihr Buch ist gegliedert nach ausgewählten Abkömmlingen der indoeuropäischen Sprachfamilie, etwa Indoiranisch, Keltisch oder Tocharisch.

Dabei benennt Spinney auch das grundlegende Problem, dass Sprachwissenschaftler oft auf Vermutungen angewiesen sind, insbesondere bei Phänomenen, zu denen keine schriftlichen Zeugnisse vorliegen. So nutzen Linguisten auch die Forschungsergebnisse von Archäologie und Paläogenetik, um bei eigenen Fragestellungen Fortschritte zu erzielen. Die Paläogenetik, die als wissenschaftliches Gebiet erst wenige Jahrzehnte alt ist, hilft ihnen dabei, historische Migrationen zu verstehen. Damit trägt sie entscheidend dazu bei, die Ausbreitung von Sprachen nachzuvollziehen. Es ist spannend zu lesen, wie Archäologie, Paläogenetik und Linguistik mit ihren Forschungsmethoden manchmal auch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Lebhaft schildert Spinney die sich daraus ergebenden Kontroversen, die zeigen, dass das wissenschaftliche Ringen um Erkenntnis ein – mitunter komplexer – Prozess ist.

Auf den Spuren der Ursprache

Das Leben der Menschen und die für die Ausbreitung von Sprachen relevanten Wanderungsbewegungen werden anschaulich durch die Schilderung archäologischer Ausgrabungen. Manchmal ist sie dabei detailversessen, wenn sie zum Beispiel die Laktoseintoleranz der Jamnaja zum Thema macht. Wobei den Jamnaja an sich tatsächlich eine besondere Bedeutung zukommt. Da Experten vermuten, dass sie in indoeuropäischer Ursprache kommunizierten, steht ihre Kultur im Mittelpunkt der historischen Betrachtungen. 1600 Wörter oder Wortstämme der indoeuropäischen Ursprache wurden bereits aus Sprachen rekonstruiert, die von ihr abstammen. Damit zeigt Spinney beeindruckend, was die historische Linguistik bereits geleistet hat.

Spinney weist zudem nach, dass die Sprache immer ein Spiegel bestimmter Lebensumstände ist. So führt sie aus: »[…] das Baltische und das Slawische teilen einen recht umfangreichen Wortschatz bezüglich Flüssen und Fischerei« (S. 228). Beispiele sind bestimmte Wörter für »waten«, »tauchen«, »laichen«, »Einbaum« und »Floß«, die so in keinem anderen Zweig der indoeuropäischen Sprachfamilie vorkommen. Die Autorin macht erlebbar, wie Wissenschaftler Sprachen Schicht um Schicht freilegen. So wurde etwa rekonstruiert, dass Slawen und Balten Berührungspunkte hatten, als beide im frühen 3. Jahrtausend v. Chr. am mittleren Abschnitt des Dnjepr siedelten.

Insgesamt liefert Laura Spinney einen faszinierenden Überblick darüber, wie sich indoeuropäische Sprachen in verschiedene Richtungen entwickelten, wie sich ihre Wege kreuzten oder wie sie ausstarben. Wer das Buch liest, versteht, dass sich Sprachen generell ständig verändern und dass Migration ein wichtiger Faktor bei der Verbreitung der indoeuropäischen Sprachen war. Die Reflexion über Herkunft und Genese von Sprachen regt auch dazu an, die eigene Sprache genauer in den Blick zu nehmen. Denn, wie Spinney ganz richtig feststellt: »Sprache formt Identität, und Identität formt Sprache« (S. 275).

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