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»Die abendländische Christenheit im Mittelalter«: Der Glaube und die Macht

Das christliche Mittelalter war kein historischer Monolith, sondern eine Zeit dynamischer Veränderungen. Das zeigt Martin Kaufhold.

Der römische Papst könne nicht nur Bischöfe, sondern auch Kaiser absetzen. Die Fürsten hätten dem Papst die Füße zu küssen, und wer sich nicht in Übereinstimmung mit der Kirche befinde, könne nicht »katholisch« genannt werden. Diese und ähnlich kraftvolle Sätze befinden sich im sogenannten Dictatus Papae.

Das Schriftstück geht auf Papst Gregor VII. zurück, der es 1075 seinem Schreiber diktierte. Es dokumentiert deutlich den Machtanspruch des Papstes und der unter seiner Regentschaft stehenden Kirche. Er, so die Botschaft, stehe sogar über dem Kaiser. Nur kurze Zeit später folgte der Papst diesem Anspruch und setzte 1076 Heinrich IV. während des Investiturstreits ab. Dieser musste daraufhin den berühmten Gang nach Canossa antreten, um wieder in die Kirche aufgenommen zu werden.

Einerseits zeigen diese Ereignisse die Macht des Papstes. Andererseits ist auch dokumentiert, dass ihm bei anderer Gelegenheit sogar die eigenen Bischöfe nicht folgten. Als Gregor VII. etwa Regelungen zum priesterlichen Zölibat und gegen den Ämterkauf einführen wollte, verließen die Boten des Konstanzer Bischofs zuvor die Stadt Rom. Und auch erst seit dem Spätmittelalter bezeichneten sich Päpste als »Stellvertreter Christi«. Zuvor beanspruchten lange Zeit weltliche Herrscher diesen Titel in einem sakral verstandenen Königtum für sich.

Offenbar musste sich die Kirche also erst zu der einheitlichen und mächtigen Institution unter päpstlicher Führung entwickeln, als die man sie heutzutage meist mit Blick auf das Mittelalter beschreibt. Denn zunächst war sie keineswegs einheitlich, sondern von der Vielfalt verschiedener Gemeinschaften und theologischer Strömungen geprägt. Der Mittelalterhistoriker Martin Kaufhold zeichnet diese Entwicklungen in seinem Buch nach. Er unterteilt es in drei große Abschnitte und orientiert sich dabei an den Epochen des Frühmittelalters (5.–11. Jahrhundert), des Hochmittelalters (11.–13. Jahrhundert) und des Spätmittelalters (14.–15. Jahrhundert). Jeder Abschnitt ist wiederum in mehrere Kapitel gegliedert.

Macht und Spiritualität

Den einzelnen Phasen des Mittelalters ordnet Kaufhold grundlegende Problemstellungen zu. So musste die Kirche im Frühmittelalter die kleinen christlichen Gruppen in der Weite des europäischen Raums zusammenzuhalten. Auch die Mission nicht christlicher Völker gehört zu den frühen Aufgaben. Dabei kämpfte man mit einem Mangel an Priestern, und die Macht des Papstes war begrenzt. Merowinger und Karolinger mussten ihn beschützen, und viele für die Kirche wichtige Aufgaben wurden von weltlichen Herrschern ausgeübt, die dadurch auch ihre eigene Macht stärkten. Zu dieser Zeit war das Christentum bestimmt vom Einfluss gesellschaftlicher Eliten wie weltlichen Herrschern, Adeligen oder Mönchen. Erhellend ist dabei Kaufholds Blick auf das Alltagsleben der Menschen. Glaube war für sie keine abstrakte Realität, die primär mit einer Institution verbunden war, sondern vor allem praktische Lebenserfahrung.

Das Hochmittelalter erlebte den Aufstieg des Papsttums gegenüber der weltlichen Macht und als dominierende Stimme innerhalb der Kirche. In dieser Zeit wurde das christliche Leben von Fragen um die Armutsgelübde der Bettelorden, den Wunderglauben und die Verbreitung christlicher Texte geprägt. Es war zudem die Zeit der Kreuzzüge, von antijüdischen Pogromen und der innerkirchlichen Inquisition. Im Spätmittelalter erfolgte dann nicht nur eine neue Auseinandersetzung mit den Leiden Christi. Es offenbarte sich auch immer mehr – am Vorabend der Reformation – die Notwendigkeit für innerkirchliche Veränderungen.

Kaufhold legt ein gut lesbares und verständliches Buch zum abendländischen Christentum vor. Dabei bürstet er vieles gegen den Strich – vor allem das Bild des Mittelalters, demzufolge die Kirche permanent eine machtbewusste, päpstlich geführte Institution und das Volk schwach gewesen sei. Er rückt die religiöse und alltägliche Erfahrungswelt der Christen in den Mittelpunkt und macht deutlich, wie groß die Dynamik der Veränderungen im Mittelalter tatsächlich war. Allerdings hätte er dabei die Entstehung kirchlicher Dogmen – etwa zur Trinität und der Sakramentenlehre – noch deutlicher herausarbeiten können.

Das Buch eignet sich für historisch interessierte Laien ebenso wie für Studierende der mittelalterlichen Geschichte, die herkömmliche Auffassungen hinterfragen möchten.

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