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Unheilvolle Verflechtung

In seiner Tour d'Horizon durch fünf Kontinente und sechs Jahrhunderte benennt Bernhard Maier Licht- und Schattenseiten der christlichen Mission.

Am 3. Mai 1493 traf Papst Alexander VI. eine folgenschwere Entscheidung: Der Pontifex attestierte der spanischen Krone mit einem Federstrich den Anspruch auf die entdeckten Gebiete in der Neuen Welt, sofern sie deren Bewohner zum Christentum bekehrten. Damit gab der Heilige Vater in Rom den Startschuss für jene unheilige Allianz von Kreuz und Schwert, die Millionen von Menschen und ganze Kulturen unterjochte.

Die Geschichte der Missionierung

Diese gewaltsame Kolonialisierung beleuchtet Bernhard Maier, Professor für Allgemeine Religionswissenschaft und Europäische Religionsgeschichte an der Universität Tübingen, in seiner gelungenen Gesamtdarstellung der neuzeitlichen Mission. Ausgestattet mit profundem Fachwissen und analytischem Sachverstand, gibt er einen kompakten Überblick über Grundlagen, Motive und Entwicklungen von Mission.

Ausgehend vom berühmten Missionsbefehl Jesu (»Geht hinaus zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern«) am Ende des Matthäus-Evangeliums erläutert Maier die Ausbreitung des frühen Christentums im Römischen Reich – von den Reisen des Apostels Paulus über die Etablierung des Christentums als Staatsreligion bis hin zur Verbreitung des christlichen Glaubens im Mittelalter, in dem man die Botschaft statt nur durch Worte auch mit dem Schwert verbreitete. Diese Liaison mit der staatlichen Gewalt führte Maier zufolge zu jener »Politisierung des Christentums«, die mit der Eroberung der Welt durch die europäischen Kolonialmächte in der frühen Neuzeit globale Dimensionen annahm.

Eindrucksvoll und souverän zeigt der Autor die enge Verbindung zwischen Missionierung, Kolonialismus und Imperialismus auf und erörtert unterschiedliche Formen des weltweiten missionarischen Handelns: Er beleuchtet die Jesuiten in Nordamerika, Indien, China und Japan, die Puritaner in Neuengland sowie die Dänisch-Halleschen in Südindien. Er veranschaulicht, wie die stark vom Luthertum geprägte Glaubensbewegung der Herrnhuter, die Steyler Missionare der »Gesellschaft des Göttlichen Wortes«, die Neuendettelsauer und die Rheinische Missionsgesellschaft in Neuguinea und der Südsee den christlichen Glauben verbreiteten.

Dabei zeichnet Maier ein mehrdeutiges Bild der christlichen Mission. Er benennt die Probleme, die sich aus der Verbindung von christlicher Mission und kolonialer Herrschaft zwangsläufig ergaben. Christliche Missionare waren Teil des kolonialen Herrschaftssystems, brachten mit dem Evangelium aber auch Bildung und Fortschritt. Einige setzten sich für die Menschenrechte der Eingeborenen ein, wie der Dominikaner Bartholomé de las Casas, der seine Stimme gegen das himmelschreiende Unrecht und die menschenunwürdige Behandlung der indigenen Völker erhob. Andere, etwa die Jesuiten, schufen Zufluchtsorte (»reducciones«) für Einheimische, um sie vor Versklavung und anderen Formen der Ausbeutung durch die Kolonialmächte zu schützen.

Maier verhehlt nicht, dass die neuzeitlichen Glaubensapostel die christliche Botschaft mit rassistischen und imperialistischen Ideologien verbanden, indem sie die Gesellschaften außerhalb Europas als primitiv, unzivilisiert und unmoralisch erachteten und somit eine ganz starke Rolle bei der Legitimierung von kolonialer Herrschaft spielten; mahnt zugleich aber zu Differenzierung und Zurückhaltung mit pauschalen Schuldzuweisungen. Zu vielschichtig sei die Thematik, zu grundverschieden die Missionswerke und die einzelnen Missionare, zu unterschiedlich die jeweiligen Regionen, ihre Bevölkerung und der Stand der kolonialen Machtergreifung.

Damit hat der Autor ein sehr lesenswertes Buch geschaffen, das christliche Missionare als Wegbereiter und Kritiker der Kolonialmächte beschreibt und die Frage von Schuld, Verstrickung und Widerstand neu stellt.

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