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Himmlische Herrschaft der Zahlen

Auf wundersame Weise gehorcht das Universum mathematischen Regeln. Doch für wichtige Bereiche suchen die Forscher noch nach den richtigen Formeln.

Im 18. Jahrhundert entdeckten die deutschen Gelehrten Johann Titius und Johann Bode einen numerischen Zusammenhang zwischen den Bahnradien der meisten Planeten im Sonnensystem. Diese Titius-Bode-Reihe könnte bloßer Zufall sein, denn sie gilt weder streng noch allgemein. Oder steckt vielleicht doch mehr dahinter? An dieser Frage demonstriert der britische Mathematiker Ian Stewart, dass Newtons Gravitationsgesetz zwar im Prinzip die Planetenbahnen wunderbar erklärt – aber längst nicht alle Abweichungen, die durch die Wechselwirkung der Himmelskörper entstehen. Ursache der Titius-Bode-Reihe sind möglicherweise so genannte Resonanzen, das heißt einfache Zahlenverhältnisse zwischen den Umlaufzeiten zweier Planeten. Bei einer 5:3-Resonanz liegen die beiden Körper nach fünf beziehungsweise drei Umläufen auf einer Linie zum Mutterstern, und das könnte beide Bahnen stabilisieren, während die Himmelskörper bei einem anderen Zahlverhältnis in chaotisches Trudeln gerieten.

Stewart, renommierter Autor und Spektrum-Lesern als Autor der »Mathematischen Unterhaltungen« bekannt, erinnert an die Tatsache, dass Newtons Gesetz nur bei zwei Massen zu exakten Lösungen führt, während schon das Dreikörperproblem keine einfachen Vorhersagen erlaubt. Deshalb droht überall im Kosmos das vom französischen Mathematiker Henri Poincaré (1854–1912) entdeckte »deterministische Chaos«: Newtons strenge Regeln ergeben im allgemeinen kein kosmisches Uhrwerk, sondern ein kompliziertes Massen- und Kräftegemenge. Nur wenn ein schweres Zentralgestirn seine vergleichsweise verschwindend leichten Planeten und Kometen bändigt, kommen als Bahnen die berühmten Kegelschnitte heraus: Ellipsen beziehungsweise Hyperbeln.

Geregeltes Chaos im Sonnensystem

Der Autor, der selbst auf dem Gebiet des deterministischen Chaos geforscht hat, beschreibt die komplexen Vorgänge, aus denen die – bloß 20 Meter dicken! – Ringe des Saturn hervorgingen. Es waren Mathematiker, die schon im 19. Jahrhundert berechneten, dass die Ringe weder fest noch flüssig sein können, sondern aus unzähligen kleinen Körpern bestehen müssen. Heute wissen wir zudem um den stabilisierenden Effekt so genannter Hirtenmonde, die Schneisen und feine Wellen in die Ringe schlagen.

Eingehend befasst sich das Buch damit, wie heutige Raumsonden das einigermaßen geregelte Chaos des Planetensystems nutzen: Statt das Ziel, zum Beispiel Pluto, direkt anzusteuern, schlagen sie komplizierte Umwege ein, um aus der Schwerkraft anderer Planeten Schwung zu holen.

Da der Autor möglichst umfassend vom Wissensstand der modernen Kosmologie berichten möchte, zeichnen sich nicht alle Kapitel durch jene Engführung von Mathematik und Kosmos aus, die der Buchtitel verspricht. Manches bleibt eher Pflichtübung und erzählt nach, was auch in anderen populären Büchern steht.

Inflationäres All

Einen persönlichen Touch hat Stewarts Schilderung des kosmologischen Standardmodells vor allem wegen der Skepsis, die er ihm entgegenbringt. Ist der Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren wirklich die einzige Erklärung der kosmischen Expansion? Wirft das Inflationsmodell – demzufolge sich das All unmittelbar nach dem Urknall derart rapide aufblähte, dass es heute homogen und flach erscheint – mehr Fragen auf, als es beantwortet? Brauchen wir die Dunkle Materie, um das Rotationsprofil der Galaxien zu erklären, wo doch die Suche nach dafür passenden Teilchen bisher erfolglos blieb?

Auch die Idee des Multiversums und des anthropischen Prinzips zieht Stewart in Zweifel. Ist unser Universum wirklich bloß unter unzähligen anderen just eines, in dem die physikalischen Gesetze zufällig die Existenz von Menschen zulassen? Der Mathematiker bringt ein interessantes Gegenargument vor: Er meint, es sei gar keine ungeheuer unwahrscheinliche Feinabstimmung aller physikalischen Konstanten nötig, damit unser Kosmos entstehen kann. Jedes komplexe Gebilde gehe im Lauf der Zeit, Schritt für Schritt, aus wenigen einfachen Anfangsbedingungen hervor – so wie ein fertiger Rennmotor aus einer Unmenge störanfälliger Komponenten besteht und doch das Resultat einfach nachvollziehbarer Montageschritte ist.

Mit Recht weist Stewart auf die klaffenden Lücken im Standardmodell hin, will aber dessen enorme Erklärungskraft nicht leugnen – und vermag auch keine bessere Alternative anzubieten. Die Highlights seines Buches sind die Kapitel zum deterministischen Chaos im Sonnensystem.

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