»Die Bombe«: Wenn die Bombe spricht
Robert Oppenheimer, das Manhattan-Projekt, ein auf einer Hauswand eingebrannter Schatten als »Rest« eines Menschen: All dies verbinden wir mit dem ersten Einsatz einer Atombombe am 6. August 1945 in Hiroshima. In einer gelungenen Kombination aus Text und Zeichnungen schildert diese Graphic Novel die Forschung vor dieser Menschheitskatastrophe, die politischen Entscheidungen, die zu ihr führten, und die Folgen des radioaktiven Feuersturms, der die japanische Stadt nach der Explosion der Atombombe komplett vernichtete.
Der belgische Szenarist Didier Swysen alias Alcante hat dieses Buch im Team mit Denis Rodier und Laurent-Frédéric Bollée geschaffen. Sie beginnen ihre zeichnerische Erzählung mit Leó Szilárd und zeigen, wie der Physiker seine Idee der Kettenreaktion radioaktiver Stoffe entwickelte. Verfolgt von den Nazis, wanderte der Wissenschaftler früh in die USA aus. Dort begeisterte er Kollegen wie Enrico Fermi und Robert Oppenheimer von seiner Idee. Der Hauptteil der in Schwarz-Weiß erzählten Geschichte schildert den Ablauf von der Entwicklung bis zum Bau und Abwurf der Bombe. Darin wird eindrücklich vermittelt, welches Zerstörungspotenzial die Forscher hier aufbauten – das diese selbst erst nach Hiroshima wirklich erkannten. Mit Schrecken betrachtet der wissende Leser die Zeichnung, auf der fünf der »Macher« zu sehen sind: Sie liegen – in feiner Zivilkleidung – auf dem Rücken im Sand der Wüste in Nevada, schauen nach oben und wollen beim ersten Atombombentest hautnah dabei sein. Während sie auf den großen Knall warten, witzeln sie, dass es nicht auszuschließen sei, dass die Explosion die Erdatmosphäre entzündet und den gesamten Planeten zerstört.
Welch destruktive Kraft Menschen hier entfesselt haben, macht Alcante auch immer wieder dadurch deutlich, dass er der Bombe selbst eine Stimme verleiht. Dann dominiert düsteres Dunkel die Seiten. Die Bombe – beziehungsweise das radioaktive Element Uran – erhält hier zeichnerisch eine Wucht, in der die Urgewalt der nuklearen Zerstörungskraft spürbar wird. Es sind allerdings die Menschen, die mit dem Abwurf die »gewaltige düstere Energie entfesseln, die in mir pochte, toste, brodelte«, wie es der Autor der Bombe in den Mund legt.
Lügen und Zerstörung
Eindrücklich erzählt und zeichnet die Graphic Novel die Geschichte der Bombe. Sie beleuchtet dabei viele Aspekte des Themas. Das Buch zeigt die Verfolgung der Juden; die Versuche der Amerikaner, die Kindern und Erkrankten heimlich Plutonium spritzten; die Lügen über die angebliche Notwendigkeit des Einsatzes; Politiker, die behaupten, nur militärische Ziele anzuvisieren; die Beziehungen der USA zur Sowjetunion; den Einsatz der am Manhattan-Projekt Beteiligten; den verbreiteten Kriegswahn; und die militärischen Aktionen Japans.
Zur Ergänzung und Vertiefung bietet sich ein anderes, ebenfalls hervorragendes Buch an: »Hiroshima« von Richard Overy. Der Historiker rekonstruiert etwa, wie die amerikanische Luftwaffe darum kämpfte, eigenständig zu werden und aus dem Schatten der Bodentruppen herauszutreten, wie in Japan schon vor 1945 ganze Städte durch Flächenbombardements zerstört wurden und welche Schlussfolgerungen aus solchen Einsätzen gezogen wurden. Hiroshima und Nagasaki waren furchtbar einzigartig – und standen zugleich in einem rekonstruierbaren historischen Kontext.
»Die Bombe« ist eine großartige und gewaltige Erzählung, die den Wissensdrang und das Erschrecken der Forscher ebenso nachvollziehbar macht wie die Motive und Kalküle der Politiker. Alcante zeigt dabei auch, welchen Einfluss Ereignisse im persönlichen Leben der Akteure mitunter hatten. Die Graphic Novel schildert die Verzweiflung vieler Forscher, die bis zur letzten Minute versuchten, den Einsatz der Bombe zu verhindern, als sie ahnten, dass er unmittelbar bevorstand. Und sie erzählt das Leben einer Familie in Hiroshima, die zunächst unter den Repressionen der japanischen Regierung litt und schließlich von der Bombe ausgelöscht wurde.
Das Buch ist präzise recherchiert und so spannend gestaltet, dass die fast 500 Seiten in einem Rutsch zu lesen sind. Die Charaktere sind authentisch und einfühlsam dargestellt, die Dialoge so durchdacht, dass man immer wieder Lust hat, die Graphic Novel neu aufzuschlagen und in ihr zu stöbern.
Am Ende kommt wieder das Element beziehungsweise die Bombe zu Wort, die weiß, »dass eine gewaltige düstere Energie in mir schlummert«. Die Zeichnungen der von der Strahlung getöteten Menschen bleiben dann wortlos. Echte Fotos verletzter Japaner zu zeigen, war in den USA lange untersagt, Berichte unterlagen einer rigiden Zensur, unabhängige Forschung dazu wurde nach dem Einsatz erst einmal verboten. »Die Bombe« ist von der Hoffnung getragen, eine Wiederholung von Hiroshima lasse sich durch echte Aufklärung verhindern oder zumindest unwahrscheinlicher machen. Denn es ist wichtig zu wissen, wie Menschen eine solche Zerstörungskraft entwickeln konnten und mit welchen Lügen der Bombeneinsatz gerechtfertigt wurde. Zumal die Bombe weiterhin das Potenzial besitzt, nicht nur Menschenleben, sondern die gesamte Erde zu vernichten.
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