»Die Denkerin«: Niemals Parteigängerin
Es gab eine Zeit, da saß Hannah Arendt zwischen allen Stühlen. Heute, so die Bonner Politologin Grit Straßenberger, sitze sie auf allen – fast. In ihrer Biografie stützt sich die Autorin insbesondere auf Zeugnisse von Menschen, die Arendt begegnet sind, auf ihren Briefverkehr sowie auf Aussagen über ihre Werke.
Dieser Ansatz birgt eine doppelte Gefahr. Zum einen wird der Text durch viele Zitate stellenweise weitschweifig und verliert stilistisch an Eleganz. Andererseits treten dramatische Momente in Arendts Lebens in den Hintergrund, weil es zu ihnen weniger Dokumente gibt: vor allem ihre Flucht 1933 aus Nazi-Deutschland, ihre hoch gefährdete Existenz als Binnenflüchtling in Frankreich 1940 sowie das Jahr 1941, in dem sie es endlich schafft, über Spanien und Portugal in die USA zu gelangen.
Auch Arendts unvollendetes Hauptwerk »Vom Leben des Geistes«, das erst nach ihrem Tod am 4. Dezember 1975 erscheint, wird nur am Rande erwähnt, weil sie darüber natürlich nicht mehr in Dialoge mit Kritikern oder Freunden eintreten konnte. So betont Straßenberger zwar die persönliche Beziehung zu Martin Heidegger, nicht aber dessen Einfluss auf Arendts Denken, der sich just in diesem Spätwerk realisiert. Zwar präsentiert sich Hannah Arendt nicht erst hier als Philosophin, die das Selbstverständnis ihrer Mitmenschen reflektiert und es nachhaltig in Frage stellt. Dennoch wären tiefer gehende Erläuterungen zu dieser letzten Phase ihrer intellektuellen Biografie wünschenswert gewesen.
Sehr erhellend ist dagegen Straßenbergers Blick auf Arendts Leben in den USA, wo sie langsam zu einer umstrittenen, aber hoch anerkannten öffentlichen Intellektuellen avanciert, die mit vielen Menschen befreundet ist. Überhaupt hält Arendt Freundschaft für eine wichtige republikanische Tugend, während die Monarchie auf der Familie als sozialer Einheit beruhe. Zur Freundschaft gehört laut Arendt vor allem die Begegnung – deren Intensität deutlich über bloßes Networking hinausgeht.
Hannah Arendt und die Demokratie
Arendts philosophischen Werdegang entfaltet die Autorin mit einem besonderen Blick auf die Entwicklung der Demokratie. Dieser führt von einer (nicht besonders gelungenen) Doktorarbeit bei Karl Jaspers zum Liebesbegriff beim Kirchenvater Augustin (1928) über ihre Rekonstruktion der Entstehung des Antisemitismus im 19. Jahrhundert zu ihrer umfänglichen Analyse des Totalitarismus (1951). Mit Letzterer macht sich Arendt unter Linken keine Freunde – was auch für ihre Abwertung der Arbeit in »Vita activa oder Vom tätigen Leben« (1958) und ihr Loblied auf die US-amerikanische Revolution als Geburtsstunde partizipatorischer Demokratie gilt, das sie 1963 in »On Revolution« singt.
Spätestens mit diesem Werk und ihrer positiven Einschätzung von Protest und politischem Engagement an der Basis und nicht nur bei den herrschenden Eliten, erkennen auch die Konservativen, dass Arendt keine der ihren ist. Und von den Liberalen distanziert sich Arendt durch ihr Primat der Politik gegenüber der Ökonomie. Wenn Straßenberger Arendts Sympathien für die Rätebewegung und damit für basisdemokratische Initiativen nachgeht, reflektiert sie auch, inwieweit diese die heute schwächelnde repräsentative Demokratie beleben könnten. Das Buch beschließen denn auch Antworten Hannah Arendts auf zehn Fragen zur Demokratie, ihren Gefährdungen und Chancen. Auf diese Weise bezieht die Politologin Straßenberger Arendts Denken konkret auf unsere Zeit und beantwortet zugleich die Frage, warum die Philosophin heute so populär ist.
Freilich zieht die Autorin, indem sie Hannah Arendt so an den heutigen Mainstream des Redens über Demokratie anschließt, der Philosophin einige ihrer bösesten und zugleich interessantesten »Zähne«. Arendts Bericht über »Eichmann in Jerusalem« (1963) und ihr Blick auf die »Banalität des Bösen« brachten ihr einen Sturm von Anfeindungen ein – und sind doch, trotz zum Teil berechtigter Kritik wegen historischer Fehler oder unzulänglicher Interpretationen, intellektuell äußerst fruchtbar. Passend dazu entschärft Straßenberger auch Arendts moralphilosophische Kritik an den von allen politischen Lagern geschätzten Figuren des Untertanen und des braven Bürgers. Damit schwächt sie auch Arendts philosophische Kritik an real existierenden Demokratien als Formen der Eliten- oder Expertenherrschaft – auch etwas, das man heute nicht so gern liest. Eine Verharmlosung der »Denkerin«.
Insgesamt allemal ein bereicherndes Buch, wenn auch mit Schwächen.
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