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»Die dunkle Leidenschaft«: Emotion der Zerstörung - Hass

Anfeindungen im Netz, unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten – Hass in seinen unterschiedlichen Ausprägungen begegnet uns überall. Reinhard Haller hat dieser zerstörerischen Emotion sein neuestes Buch gewidmet.
Typ sitzt brüllend vorm Laptop und schwenkt die Faust. Oder wie wir es nennen: Windows-Update.

Ist Hass eine Sünde? Wo endet Wut und beginnt Hass? Auf 240 Seiten trägt der Gerichtspsychiater penibel Erkenntnisse der Psychologie, Philosophie und verschiedener Religionen zusammen.

In 15 Kapiteln behandelt er die einzelnen Aspekte des Hasses. Gleich zu Beginn wird klar, dass die Definition und Abgrenzung zu anderen Emotionen wie Wut und Zorn gar nicht so einfach ist. Der griechische Philosoph Aristoteles hielt fest, dass Hass nicht nur ein kurzer impulsiver Gefühlsausbruch ist wie die Wut, außerdem sei er immer auf Zerstörung ausgerichtet. Wobei es auch eine wilde Entladung des Hasses geben kann, den »Hassausbruch«, aber auch dieser dient mehr der Zerstörung des Hassobjekts als der eigenen Entlastung, anders als bei der Wut.

Hass am Beispiel von Völkermorden

Auch die Wurzeln und das Wesen des Hasses beleuchtet Haller. Hass liegt fast immer eine Demütigung zu Grunde und richtet sich gegen Einzelne oder Gruppen, wobei das Hassobjekt nicht nur entwertet, sondern auch jegliche Empathie verweigert wird. Dadurch erspart sich der Hassende jegliche Schuldgefühle. Besonders eine zum Hass gehörende Intoleranz mit gleichzeitiger Überhöhung der eigenen Meinung ist in aktuellen Diskussionen immer wieder zu beobachten. Ziel des Hasses ist die Unterwerfung des Hassobjekts. In der extremsten Ausführung führt das zu hemmungsloser Grausamkeit, wofür Haller als Beispiel Völkermorde wie jenen 1994 in Ruanda anführt.

Interessant ist die Untersuchung der Angst als wesentliches Element des Hasses, die durch diesen zum Schweigen gebracht wird, da er eine alles andere überlagernde Emotion ist.

Auch bei den Ursachen für Hass gibt es verschiedene Ansichten, die Haller minuziös aufbereitet. So sah Xenophon, ein Schüler von Sokrates, die Wurzel des Hasses im Neid. Haller konkretisiert das noch weiter, indem er zwischen zwei Arten von Neid unterscheidet: Nur der destruktive Neid führe zu Hass, der konstruktive Neid hingegen diene dem Ansporn. Mit einer bildhaften Analogie eines entstehenden Gewässers, das aus vielen Quellen und Zuflüssen gespeist wird, beschreibt der Autor die allmähliche Entstehung des Hasses.

Physiologisch sind beim Hass zwei Hirnregionen aktiv, das Putamen und die Inselrinde. Ersteres koordiniert auch Reflexe für Flucht beziehungsweise Angriff. Deshalb ist es nicht überraschend, dass Hassende unter chronischem Stress stehen. Auf lange Sicht kann Hass, wenn er ungelöst bleibt, auch krank machen: Es kann zu Magenproblemen oder Herzrhythmusstörungen kommen, aber auch zu Depression und Angstzuständen.

Einen Fokus richtet Haller auf den Hass in Gruppen. Denn obwohl dieser ähnlichen Mustern folgt wie der individuelle Hass, wird er in der Gruppe legitimiert. Deshalb entfaltet er sich in Menschenmassen auf besonders gefährliche Weise. Das ist vor allem im Internet zu beobachten. Dort kommt hinzu, dass der Fokus auf der eigenen Selbstoptimierung und deren Darstellung liegt. Diese beiden Phänomene sind weitere Nährböden für Hass, denn die Optimierung ist immer auch mit Konkurrenzdenken und damit einer narzisstischen Einstellung verbunden. Narzissmus weist laut Haller die größte Nähe zu Hass auf, außerdem kommt es zu Selbstzweifeln und Versagensängsten, wenn die Selbstoptimierung scheitert. In weiterer Folge entwickelt sich daraus Selbsthass.

Auf aktuelle Themen wie Femizide, Bodyshaming und toxische Männlichkeit geht Haller mit praktischen Beispielen aus der Praxis ebenfalls ein. Beispielsweise sei die toxische Männlichkeit eine Form des Narzissmus in bösartiger Ausprägung, männlicher Narzissmus sei außerdem dominanter und gewalttätiger als weiblicher.

Schließlich beschreibt der Autor nicht nur zehn Schritte, wie ein Einzelner Hass überwinden kann; dazu gehört vor allem das Erkennen und Benennen des Hasses und die anschließende Analyse der Ursache. Das letzte Kapitel umfasst auch acht Wege, wie wir als Gesellschaft einem hasserfüllten Miteinander begegnen können. Dazu gehört eine ideologiefreie und emotionslose Auseinandersetzung mit dieser Emotion. Einen wichtigen Schritt in Richtung Aufklärung und Enttabuisierung macht Haller mit diesem Buch.

Jedem Kapitel ist ein Zitat vorangestellt, in dem es um Hass geht. Eines der hoffnungsvollsten ist von Anne Frank: »Trotz allem glaube ich immer noch, dass die Menschen tief in ihrem Herzen gut sind.«

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