»Die dunkle Seite der Sprache«: Auch destruktive Sprache ist vielfältig
Drei Autoren – Nikola Kompa und Christian Nimtz (beide mit dem Schwerpunkt Sprachphilosophie) sowie der Moralphilosoph Tim Henning – legen ein Buch vor, das sie als gemeinsames Werk präsentieren, ohne dabei einzelne Abschnitte bestimmten Autoren zuzuordnen. Sie schreiben vorwiegend als »Wir«, es gibt aber auch ganze Abschnitte in der Ich-Form, bei denen jedoch unklar bleibt, wer dieses »Ich« ist. Bei der Frage der Autorenschaft präsentiert sich das Buch also widersprüchlich.
Und, um es vorwegzunehmen: Auch inhaltlich erweist sich das Werk als schwer greifbar. Es präsentiert hochtheoretische Überlegungen zu Sprachphilosophie und Linguistik, greift dabei aber auf Beispiele von unglaublicher Banalität zurück und gibt letztlich recht dünne Empfehlungen, auf die man allein mit etwas gesundem Menschenverstand selbst kommen kann. Aber der Reihe nach.
Gegenstand des Buchs ist die »dunkle Seite der Sprache«. In diesem Zusammenhang ist vom »Dual-Use-Charakter« sprachlicher Äußerungen die Rede. Die Verwendung des »Dual-Use«-Begriffs lässt bereits erahnen, dass die Autoren in ihrer Untersuchung eher nicht die vielen Facetten und Grautöne in den Blick nehmen, die Sprache zu einem so umfassenden Instrument der Kommunikation machen. Man fühlt sich bei »Dual-Use« eher an Waren oder Technologien erinnert, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können. Dass zudem im Text auf Quellen verwiesen wird, die im Literaturverzeichnis nicht angegeben sind, kann man da schon fast als lässliche Sünde betrachten (etwa »Schelling, 1960, S. 55« im Buch auf S. 176).
Als ihr Ziel formulieren die Autoren, »analytische Mittel der aktuellen Sprachphilosophie und Linguistik auf moralisch und politisch signifikante Mechanismen anzuwenden.« Es geht ihnen um ein modernes, genauer, um das modische Thema, wie »Worte ausgrenzen, abwerten und manipulieren« können. Zu solchen Worten und Wendungen zählen sie Metaphern, generische Aussagen, Herabsetzungswörter, Entmächtigung durch Sprache, bestimmte Diskursdynamiken und Akkommodation sowie Lügen und Verschwörungstheorien, die das Vertrauen in die Sprache untergraben. Dass sie in ihrem eigenen Buch Triggerwarnungen vor Begriffen aussprechen, »die wir als ekelerregend, verstörend oder schlicht furchtbar empfinden«, verwundert dann zwar nicht mehr. Aber man fragt sich doch: Ist es wirklich nötig, im wissenschaftlichen Kontext vor untersuchten Begriffen wie »Tintenpisser« oder »Arschkriecher« zu warnen?
Theorie als Korsett
Die Kapitel zu einzelnen Formen »dunkler Seiten der Sprache« wenden aktuelle Ergebnisse der Metapherntheorie an, Quantoren aus der Mengen- und Prädikatenlogik und Implikaturen sowie selbstverständlich auch Methoden und Erkenntnisse aus Semantik, Pragmatik und der Sprechakttheorie. Hier arbeiten sich die Autoren durch die feinsten theoretischen Verästelungen – und wer ein Interesse an diesen Feinheiten hat, ist mit dem Buch gut bedient. Die Autoren gehen auf die aktuelle Literatur ein, diskutieren und verwerfen Theorien, die sie nicht überzeugen, und bieten mit einem Glossar eine Hilfe zu den verwendeten Begriffen – ein Gewinn für alle, die nicht mit ihnen vertraut sind.
»›Das kann doch nicht sein! Kommt da so ein Tintenpisser [Hervorhebung JK] und will mir erklären, wie ich mein Labor zu organisieren habe.‹« Man könnte alltagspraktisch denken: ›Da macht sich halt jemand kurzfristig Luft angesichts einer Anmaßung – Schwamm drüber.‹ Doch die Autoren quälen dieses und einige ähnliche Beispiele über 30 Seiten und durch mehrere Theorien – von der »wörtlichen Beleidigung über die Expressivität bis hin zu Wortwahl-Implikaturen« –, um dann zu dem wenig hilfreichen Schluss zu gelangen, dass für »sich genommen die in unserer Analyse von Herabsetzungswörtern herausgearbeiteten Mechanismen neutral« sind. Man ist versucht, frei nach Georg Christoph Lichtenberg zu sudeln: ›Sie konnten die Dinte nicht halten …‹
Im Schlusskapitel befassen sich die Autoren unter anderem mit Lügen und Verschwörungstheorien sowie der Vertrauensbasis von Sprache. Sie erklären Wahrhaftigkeitstheorien und zeigen, wie gerade Wahrhaftigkeit zum Gelingen von Kommunikation gehört. Es verwundert allerdings, dass sie am Schluss zum Beispiel empfehlen, Menschen, die mit Verschwörungstheorien »der kommunikativen Gemeinschaft demonstrativ den Rücken« kehren, »Gehör« zu schenken – hatten sie doch im Kapitel über »digitale Entmündigung« noch empfohlen, einen provokanten Redebeitrag in einer öffentlichen Diskussion einfach »zu umgehen«, weil er die »Neutralitätsnorm« verletze.
Ebenfalls in den letzten Abschnitten des Buchs wird deutlich: Der Ansatz der Autoren reicht außerdem bei Weitem nicht aus, um fiktionalen Sprachgebrauch zu erklären; erst recht kann er – wie das Kapitel »Harry Potter und der Monsterschleim: Wahrhaftigkeit nachspielen« zeigt – nicht erfassen, was in einer Person vor sich geht, die sich mit einer Figur in einem Horrorfilm oder einem Liebesfilm identifiziert.
So bleibt der Eindruck: Die theoretische Verpflichtung auf analytische Philosophie und Sprachphilosophie zeigt die engen Grenzen des Ansatzes und zwingt die Autoren in ein Korsett, das echtem Erkenntnisgewinn nicht zuträglich ist. Minutiös untersuchen sie die Sprache, vermögen aber nirgends die enorme Vielfalt menschlicher Lebensprobleme und Verhaltensweisen auch nur zu berühren.
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