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»Die Elemente«: Chemie zum Schmökern

Wer die Elemente des Periodensystems wie Wasserstoff oder Uran entdeckt hat, stellt der Autor Philip Ball mit Kunst und Kultur originell vor.
Periodensystem Ausschnitt

Brrr, mögen einige denken. Allein schon das Wort »Periodensystem« klingt nicht nach Lesefreude. Die Chemiker und Chemikerinnen denken dagegen vielleicht: Kennen wir doch alles. Höchstwahrscheinlich haben beide Seiten Unrecht. Denn der britische Wissenschaftsjournalist Philip Ball verwebt in seinem neuen Buch Chemie, Kunst und Kultur zu einem köstlichen Schau- und Lesegenuss. Ball ist Chemiker und Physiker und schreibt in wissenschaftlichen Magazinen wie »Nature« und »New Scientist« sonst auch mal über Fusionsreaktoren und Quantenphänomene.

In seinem neuen Buch präsentiert er auf unterhaltsame Weise die 118 »unteilbaren« Atome wie Wasserstoff, Meitnerium oder das – bisher – letzte in der Reihe: Oganessum mit seinen 118 Protonen im Atomkern. Ball hat akribisch recherchiert und das Buch ausgezeichnet bebildert, so dass es eine atemberaubende visuelle Reise durch die Entdeckung der Bausteine unserer Welt ist – und ganz und gar nicht wie eine trockene Chemievorlesung wirkt. Von der Alchemie bis zum Atomzeitalter zieht der Autor die Leser, ohne trivial zu werden, mit großem Erzähltalent in seinen Bann.

Giftiger Schwefel in Gomorrha

Egal zu welchem Element man das Buch aufschlägt, immer findet Ball zum Thema passende Gemälde, Illustrationen oder Fotografien und erschafft so einen wahren Schmökergenuss. Einmal ist es ein Gemälde, in dem gefährlicher, rot glühender Schwefel auf das biblische Sodom und Gomorrha herabregnet, dann eine Grafitmine in Sibirien, oder es sind die fünf originalen Holzkugeln zu sehen, mit denen John Dalton seine Atomtheorie einst demonstrierte. Die Entdeckungsgeschichten der Elemente illustriert Ball mit so unterschiedlichen Bildern wie Tapeten, gemalt mit grünem Arsen, oder eines knienden Forschers, der vom Schimmer von leuchtendem Phosphor umhüllt ist. Oder es sind die Abbildungen der verschiedenen Apparate, Glaskolben und Öfen, die Ball zeigt. Doch so wunderbar die Geschichte der Chemie visualisiert ist, so schön und spannend erzählt er von der Entdeckung der Elemente. Wie die Menschen elementaren Schwefel aus den Gruben von Lavakratern als leuchtend gelbe Kristalle kratzten. Oder wenn er William Crookes beschreibt, der entschlossen war, mit der Spektroskopie Elemente zu entdecken. Über eine grüne Emissionslinie schreibt der Autor, sie erinnere ihn »besonders lebhaft an die üppige Farbe der Vegetation« im Frühling – und erklärt, dass der Schmelzpunkt von Indium derjenige ist, bei dem Zucker karamellisiert.

Wer hat's erfunden?

Doch selbst wenn das Buch nach den Elementen gegliedert ist: Die Hauptdarsteller sind die Entdecker und Entdeckerinnen. Denn »Wer hat's erfunden?« führt nicht bloß bei Schweizer Halsbonbons zu einer Machtdemonstration. Ball beschreibt nicht nur, wie man überhaupt die Elemente entdeckt hat. Er zeigt nicht nur höchst amüsant das Ringen um mehr Wissen, sondern auch die Begierde, dem Neuen einen Namen zu geben. Beim Darmstadtium ist es die Universitätsstadt, beim Hassium das Land Hessen, aber noch begehrter sind die Forschernamen. Denn für die Ewigkeit ist fast nichts so gut geeignet, als sich mit dem Namen in einem Element zu verewigen. Es ist also sowohl ein Ringen um Erkenntnis wie ein Wettlauf um die Namensgebung, wenn ein Forscher oder eine Forscherin mal wieder einen neuen »unteilbaren« Baustoff von Materie aufgespürt hat. Auch zwei Forscherinnen haben es in diese Galerie mit Meitnerium und Curium geschafft. Eigentlich sollte noch ein Atom den Namen der Tochter von Curie, Irene Joliot-Curie (ebenfalls Nobelpreisträgerin und Leitfigur der Atomwissenschaft), erhalten. Doch die Streitereien der unterschiedlichen Forschungsländer haben das vereitelt.

Streit um Antimon und Alchemie

Doch nicht immer ist es der Name, der Anlass zum Streit gibt. Wie sehr er einmal um ein Element tobte, zeigt die Bezeichnung »Antimonkrieg«. Die Anhänger von Paracelsus und die damalige Ärzteschaft waren im 16. Jahrhundert uneins über die giftige oder heilbringende Wirkung des Stoffs. Doch auch hier ging es den rivalisierenden Parteien eher um Autorität und den Einfluss am französischen Königshof als um das Ringen um Wissen, schreibt Ball. Denn es sei ein Kampf um die Vorherrschaft in der gesamten Medizin gewesen, die sich langsam von der Alchemie in eine rationale Wissenschaft wandelte.

Das Buch von Ball lässt sich nicht in einem Rutsch lesen. Aber es macht Spaß, es immer wieder in die Hand zu nehmen und zu dem ein oder anderen Element zu schmökern. So lernt man sie nach und nach auf unterhaltsame und ungewohnte Weise kennen. Geeignet ist es somit nicht nur für Chemiker, sondern für alle, die Interesse an den Bausteinen der Welt, des Universums oder der Kunst haben.

Am Ende des Buchs sind die Atome beschrieben, die man künstlich herstellen muss. Hier finden sich die schwer auszusprechenden Elemente mit Namen wie Meitnerium, Darmstadtium, Livermonium oder Roentgenium. Dagegen erscheint das Wort Periodensystem doch supereinfach.

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