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Gravitationswellen, in Häppchen dargereicht

Was haben das Higgs-Teilchen und die Gravitationswellen gemeinsam? Physikalisch eher wenig, sind doch Quantenfeldtheorie und Allgemeine Relativitätstheorie nach wie vor unvermählt. Hinsichtlich ihrer populärwissenschaftlichen Vermarktung unterscheiden sie sich dagegen kaum. Wie nicht anders zu erwarten war, hat auch der direkte Nachweis von Gravitationswellen im September 2015 zu einer Flut an einschlägigen Büchern geführt. Was Rang und Namen hat, meldete sich zu Wort – natürlich auch Deutschlands führender Wissenschaftserklärer, Harald Lesch. Das vorliegende Werk teilt er sich als Herausgeber mit acht Autoren, darunter ehemalige Studenten von ihm, von denen einige heute in der Wirtschaft, Neurolinguistik oder Soziologie tätig sind. Das Team arbeitete mit einer Ausnahme schon beim erfolgreichen Vorgänger zusammen, "Die Entdeckung des Higgs-Teilchens" (2013). Mit 128 Seiten ist der neue Band etwas knapper ausgefallen. Die Beiträge von Lesch und seinen Mitstreitern sind selten länger als vier Seiten; Infoboxen lockern den Inhalt auf.

Apropos Seiten, eigentlich sind es nur 121. Zwischen Seite 95 und 103 herrscht gähnende Leere. Nur einige flapsige Sprüche sind zu lesen, von "Sie können das Buch jetzt zuklappen" bis "Na gut, also wenn’s sein muss...". Dann folgen noch drei Beiträge – ein, nun ja, etwas seltsamer Gag.

Bildhafter Stil

Laut Klappentext handelt es sich um ein packendes Buch über "Allbeben" und "kosmische Vampire" – auch für "Nicht-Physiker". Die blumige Sprache ist bekanntlich Leschs Markenzeichen und die Mitautoren geben sich alle Mühe, ihrem Meister nachzueifern: "Und die beiden Löcher beginnen ihre Zähne zu zeigen, an ihrem Innersten zu zerren und zu reißen, während um sie herum der glühende Umhang zu immer noch höheren Temperaturen strebt und dabei Zahlen und Werte erreicht, die selbst einem Investmentbanker erstarren lassen würden."

Das Resultat ist durchwachsen. Physiker Martin Dittgen, mit drei Beiträgen vertreten, macht den Anfang: ein Abriss über "Gravitation und Allgemeine Relativitätstheorie". Bei den großen Lettern und der geringen Zeilenzahl sind die acht Seiten schnell gelesen. Der Text ist, wie die übrigen auch, verständlich geschrieben; allerdings kommt der Autor mit den Begriffen Masse/Gewicht sowie innerer/äußerer Beobachter nicht ganz zurecht. Ferner erscheint die Grafik zum Äquivalenzprinzip etwas simpel gestaltet, was auch für andere Abbildungen im Buch gilt. Mit nur drei Seiten fällt Leschs erster Beitrag (von vier), "Die Raumzeit ist kein Gummituch", sogar noch kürzer aus. In weiteren Häppchen kommen die Autoren dem Kern der Sache langsam näher: der Vereinigung zweier stellarer Schwarzer Löcher nebst Abstrahlung von Gravitationswellen und deren Nachweis mit den LIGO-Interferometern.

Schwierigkeiten mit der Mathematik offenbart Neuling Till Heckelbacher in "Gravitationswellen!? Was ist das eigentlich?". Er präsentiert die Bewegung mit konstanter Beschleunigung als "sogenannte quadratische Gleichung" x(t) = a·t2 (der Unterschied zwischen quadratischer Gleichung und quadratischer Funktion ist Schulstoff). Anschließend stellt Florian Zeller "Zwei Giganten in der Einsamkeit" vor – die Vorläufersterne der Schwarzen Löcher – und wir erfahren: "Bei Temperaturen von bis zu 18 Millionen Kelvin, welche die Kernfusion im Inneren unserer beiden Sterne erzeugt, schwinden jedoch die Bindungskräfte zwischen Elektron und Atomkern, und es entsteht ein Plasma." Wasserstoff ionisiert bekanntlich bereits bei etwa 3600 Kelvin. Ferner soll das gezeigte Hertzsprung-Russel-Diagramm laut Bildunterschrift Leuchtkraft und Spektraltyp verknüpfen, auf der waagerechten Achse ist aber nur die Temperatur angegeben. Es sind diese kleinen Patzer, die in Summe ein wenig nerven. Klar, dem "Nicht-Physiker" werden sie kaum auffallen. Leider aber führt eine ungenaue Darstellung oft zu vermeidbaren Missverständnissen. Am Beitrag "Supernova" von Judith Selig übrigens, der einzigen Frau an Bord, ist nichts auszusetzen.

Sieben verschenkte Seiten

Das Büchlein gibt einen unterhaltsamen Einblick in die Entstehung und Ausbreitung von Gravitationswellen und die gewaltigen Probleme, die überwunden wurden, um sie nachzuweisen. Trotz der vielen Autoren ist die Darstellung recht homogen und ein roter Faden erkennbar. Leider fehlen wichtige Themen. Raum dafür hätte es gegeben: Die sieben leeren Seiten! Es wird beispielsweise gesagt, dass bei der Vereinigung der Schwarzen Löcher ein Energieäquivalent von 3 Sonnenmassen in Form von Gravitationswellen abgestrahlt wurde. Tatsächlich muss man aber die immense Rotationsenergie hinzurechnen und kommt so auf 200 Sonnenmassen, wie Günter Spanner in seinem interessanten Buch "Das Geheimnis der Gravitationswellen" (2016, Rezension hier) erklärt. Ferner hätte man sich gewünscht, dass die Autoren eine vermeintliche Paradoxie aufklären, die einigen Laien Kopfzerbrechen bereitet: Wie kann man etwas messen, wenn die Gravitationswelle die Armlänge (Maßstab) des Interferometers und die Wellenlänge des Lichts gleichermaßen dehnt beziehungsweise staucht?

Insgesamt scheint das Buch mit heißer Nadel gestrickt zu sein. Wollte der Verlag es möglichst schnell auf den Markt bringen und dabei kurz und knapp – und preiswert – halten? Etwas mehr Inhalt und Sorgfalt hätten gut getan. Zum Glück gibt es ausführlichere Kost wie das Buch von Spanner. Dieses ist mehr als doppelt so umfangreich, aber nur um 30 Prozent teurer.

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